allen Landthieren hat er Theile, Triebe, Sinnen, Fähigkei- ten, Künste gemein; wo nicht ererbet, so doch erlernt, wo nicht ausgebildet, so doch in der Anlage. Man könnte, wenn man die ihm nahen Thierarten mit ihm vergleicht, beinah kühn werden zu sagen: sie seyn gebrochene und durch katop- trische Spiegel auseinander geworfene Stralen seines Bil- des. Und so können wir den vierten Satz annehmen: daß der Mensch ein Mittelgeschöpf unter den Thieren, d. i. die ausgearbeitete Form sei, in der sich die Züge aller Gattungen um ihn her im feinsten Jnbegrif sam- meln.
Jch hoffe nicht, daß die Aehnlichkeit, auf die ich zwi- schen Menschen und Thieren zeige, mit jenen Spielen der Einbildung werde verwechselt werden, da man bei Pflanzen und sogar bei Steinen äussere Glieder des menschlichen Kör- pers aufhaschte und darauf Systeme baute. Jeder Ver- nünftige belacht diese Spiele, da gerade mit der äussern Ge- stalt die bildende Natur innere Aehnlichkeiten des Baues ver- deckte und verlarvte. Wie manche Thiere, die uns von aus- sen so unähnlich scheinen, sind uns im Jnnern, im Knochen- bau, in den vornehmsten Lebens- und Empfindungstheilen, ja in den Lebensverrichtungen selbst auf die auffallendste Wei- se ähnlich! Man gehe die Zergliederungen Daubentons,
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allen Landthieren hat er Theile, Triebe, Sinnen, Faͤhigkei- ten, Kuͤnſte gemein; wo nicht ererbet, ſo doch erlernt, wo nicht ausgebildet, ſo doch in der Anlage. Man koͤnnte, wenn man die ihm nahen Thierarten mit ihm vergleicht, beinah kuͤhn werden zu ſagen: ſie ſeyn gebrochene und durch katop- triſche Spiegel auseinander geworfene Stralen ſeines Bil- des. Und ſo koͤnnen wir den vierten Satz annehmen: daß der Menſch ein Mittelgeſchoͤpf unter den Thieren, d. i. die ausgearbeitete Form ſei, in der ſich die Zuͤge aller Gattungen um ihn her im feinſten Jnbegrif ſam- meln.
Jch hoffe nicht, daß die Aehnlichkeit, auf die ich zwi- ſchen Menſchen und Thieren zeige, mit jenen Spielen der Einbildung werde verwechſelt werden, da man bei Pflanzen und ſogar bei Steinen aͤuſſere Glieder des menſchlichen Koͤr- pers aufhaſchte und darauf Syſteme baute. Jeder Ver- nuͤnftige belacht dieſe Spiele, da gerade mit der aͤuſſern Ge- ſtalt die bildende Natur innere Aehnlichkeiten des Baues ver- deckte und verlarvte. Wie manche Thiere, die uns von auſ- ſen ſo unaͤhnlich ſcheinen, ſind uns im Jnnern, im Knochen- bau, in den vornehmſten Lebens- und Empfindungstheilen, ja in den Lebensverrichtungen ſelbſt auf die auffallendſte Wei- ſe aͤhnlich! Man gehe die Zergliederungen Daubentons,
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allen Landthieren hat er Theile, Triebe, Sinnen, Faͤhigkei-
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nicht ausgebildet, ſo doch in der Anlage. Man koͤnnte, wenn
man die ihm nahen Thierarten mit ihm vergleicht, beinah
kuͤhn werden zu ſagen: ſie ſeyn gebrochene und durch katop-
triſche Spiegel auseinander geworfene Stralen ſeines Bil-
des. Und ſo koͤnnen wir den vierten Satz annehmen: daß
der Menſch ein Mittelgeſchoͤpf unter den Thieren,
d. i. die ausgearbeitete Form ſei, in der ſich die Zuͤge
aller Gattungen um ihn her im feinſten Jnbegrif ſam-
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Jch hoffe nicht, daß die Aehnlichkeit, auf die ich zwi-
ſchen Menſchen und Thieren zeige, mit jenen Spielen der
Einbildung werde verwechſelt werden, da man bei Pflanzen
und ſogar bei Steinen aͤuſſere Glieder des menſchlichen Koͤr-
pers aufhaſchte und darauf Syſteme baute. Jeder Ver-
nuͤnftige belacht dieſe Spiele, da gerade mit der aͤuſſern Ge-
ſtalt die bildende Natur innere Aehnlichkeiten des Baues ver-
deckte und verlarvte. Wie manche Thiere, die uns von auſ-
ſen ſo unaͤhnlich ſcheinen, ſind uns im Jnnern, im Knochen-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/113>, abgerufen am 22.11.2024.
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