Rumpf, Hände und Füße sind überall die Haupttheile; selbst die vornehmsten Glieder derselben sind nach Einem Prototyp gebildet und gleichsam nur unendlich variiret. Der innere Bau der Thiere macht die Sache noch augenscheinlicher und manche rohe Gestalten sind im Jnwendigen der Haupttheile dem Menschen sehr ähnlich. Die Amphibien gehen von diesem Hauptbilde schon mehr ab; Vögel, Fische, Jnsekten, Wassergeschöpfe noch mehr, welche letzte sich in die Pflanzen- oder Steinschöpfung verlieren. Weiter reicht unser Auge nicht; indessen machen diese Uebergänge es nicht unwahr- scheinlich, daß in den Seegeschöpfen, Pflanzen, ja vielleicht gar in den todtgenannten Wesen Eine und dieselbe Anlage der Organisation, nur unendlich roher und verworrener, herr- schen möge. Jm Blick des ewigen Wesens, der alles in Ei- nem Zusammenhange siehet, hat vielleicht die Gestalt des Eistheilchens, wie es sich erzeugt und der Schneeflocke, die sich an ihm bildet, noch immer ein analoges Verhältniß mit der Bildung des Embryons im Mutterleibe. -- Wir kön- nen also das zweite Hauptgesetz annehmen: daß je näher dem Menschen, auch alle Geschöpfe in der Hauptform mehr oder minder Aehnlichkeit mit ihm haben, und daß die Natur bei der unendlichen Varietät die sie lie- bet, alle Lebendigen unserer Erde nach Einem Haupt- plasma der Organisation gebildet zu haben scheine.
3. Es
M
Rumpf, Haͤnde und Fuͤße ſind uͤberall die Haupttheile; ſelbſt die vornehmſten Glieder derſelben ſind nach Einem Prototyp gebildet und gleichſam nur unendlich variiret. Der innere Bau der Thiere macht die Sache noch augenſcheinlicher und manche rohe Geſtalten ſind im Jnwendigen der Haupttheile dem Menſchen ſehr aͤhnlich. Die Amphibien gehen von dieſem Hauptbilde ſchon mehr ab; Voͤgel, Fiſche, Jnſekten, Waſſergeſchoͤpfe noch mehr, welche letzte ſich in die Pflanzen- oder Steinſchoͤpfung verlieren. Weiter reicht unſer Auge nicht; indeſſen machen dieſe Uebergaͤnge es nicht unwahr- ſcheinlich, daß in den Seegeſchoͤpfen, Pflanzen, ja vielleicht gar in den todtgenannten Weſen Eine und dieſelbe Anlage der Organiſation, nur unendlich roher und verworrener, herr- ſchen moͤge. Jm Blick des ewigen Weſens, der alles in Ei- nem Zuſammenhange ſiehet, hat vielleicht die Geſtalt des Eistheilchens, wie es ſich erzeugt und der Schneeflocke, die ſich an ihm bildet, noch immer ein analoges Verhaͤltniß mit der Bildung des Embryons im Mutterleibe. — Wir koͤn- nen alſo das zweite Hauptgeſetz annehmen: daß je naͤher dem Menſchen, auch alle Geſchoͤpfe in der Hauptform mehr oder minder Aehnlichkeit mit ihm haben, und daß die Natur bei der unendlichen Varietaͤt die ſie lie- bet, alle Lebendigen unſerer Erde nach Einem Haupt- plasma der Organiſation gebildet zu haben ſcheine.
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Rumpf, Haͤnde und Fuͤße ſind uͤberall die Haupttheile; ſelbſt
die vornehmſten Glieder derſelben ſind nach Einem Prototyp
gebildet und gleichſam nur unendlich variiret. Der innere
Bau der Thiere macht die Sache noch augenſcheinlicher und
manche rohe Geſtalten ſind im Jnwendigen der Haupttheile
dem Menſchen ſehr aͤhnlich. Die Amphibien gehen von
dieſem Hauptbilde ſchon mehr ab; Voͤgel, Fiſche, Jnſekten,
Waſſergeſchoͤpfe noch mehr, welche letzte ſich in die Pflanzen-
oder Steinſchoͤpfung verlieren. Weiter reicht unſer Auge
nicht; indeſſen machen dieſe Uebergaͤnge es nicht unwahr-
ſcheinlich, daß in den Seegeſchoͤpfen, Pflanzen, ja vielleicht
gar in den todtgenannten Weſen Eine und dieſelbe Anlage
der Organiſation, nur unendlich roher und verworrener, herr-
ſchen moͤge. Jm Blick des ewigen Weſens, der alles in Ei-
nem Zuſammenhange ſiehet, hat vielleicht die Geſtalt des
Eistheilchens, wie es ſich erzeugt und der Schneeflocke, die
ſich an ihm bildet, noch immer ein analoges Verhaͤltniß mit
der Bildung des Embryons im Mutterleibe. — Wir koͤn-
nen alſo das zweite Hauptgeſetz annehmen: daß je naͤher
dem Menſchen, auch alle Geſchoͤpfe in der Hauptform
mehr oder minder Aehnlichkeit mit ihm haben, und
daß die Natur bei der unendlichen Varietaͤt die ſie lie-
bet, alle Lebendigen unſerer Erde nach Einem Haupt-
plasma der Organiſation gebildet zu haben ſcheine.
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/111>, abgerufen am 24.11.2024.
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