Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kapitel 5; Kapitel 6. In: Über die neuere Deutsche Litteratur. […] Dritte Sammlung. Riga, 1767, S. 50–75.

Bild:
<< vorherige Seite

Schorsteine neue Namen geben wollte: so war sie am Kopfe krank, und mancher Klügling hat sich über ihre Krankheit beinahe selbst krank gelacht. Aber wenn Halle über Künste und Handwerke* eine neue Sprache redet: mit ästhetischen Umschreibungen und galanten Umschweifen uns eine wächserne Nase dreht: wenn er die Geschichte der Thiere nicht wie ein Lehrer der einfältigen Natur uns erzählet, sondern mit artigen und feinen Männchen uns bald dies, bald das, als ein Schattenspiel an der Wand zeigt, damit wir ja die Brillanten an seinen Fingern sehen sollen: so ist das ein schöner Schriftsteller von Geschmack. - Ferner: wenn im gemeinen Leben eine Großtante nach der alten Welt höflich zu sprechen glaubt, wenn sie sagt: meine Füße mit Respekt zu sagen! oder, die Straße ist salva venia unrein! so lachen wir über die gute Frau. Wir lachen über das gute Mädchen, die Sachen umschreibt, die sie für unhöflich hält, und sich Clystier oder Beinkleid zu sagen schämt. - Aber darüber lachen wir nicht, wenn ein Schulgelehrter für

* Litt. Br. Th. 14. p. 328.

Schorsteine neue Namen geben wollte: so war sie am Kopfe krank, und mancher Klügling hat sich über ihre Krankheit beinahe selbst krank gelacht. Aber wenn Halle über Künste und Handwerke* eine neue Sprache redet: mit ästhetischen Umschreibungen und galanten Umschweifen uns eine wächserne Nase dreht: wenn er die Geschichte der Thiere nicht wie ein Lehrer der einfältigen Natur uns erzählet, sondern mit artigen und feinen Männchen uns bald dies, bald das, als ein Schattenspiel an der Wand zeigt, damit wir ja die Brillanten an seinen Fingern sehen sollen: so ist das ein schöner Schriftsteller von Geschmack. – Ferner: wenn im gemeinen Leben eine Großtante nach der alten Welt höflich zu sprechen glaubt, wenn sie sagt: meine Füße mit Respekt zu sagen! oder, die Straße ist salva venia unrein! so lachen wir über die gute Frau. Wir lachen über das gute Mädchen, die Sachen umschreibt, die sie für unhöflich hält, und sich Clystier oder Beinkleid zu sagen schämt. – Aber darüber lachen wir nicht, wenn ein Schulgelehrter für

* Litt. Br. Th. 14. p. 328.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0008" n="56"/>
Schorsteine neue Namen geben wollte: so war sie am Kopfe krank,   und mancher Klügling hat sich über ihre Krankheit beinahe selbst krank gelacht. Aber wenn <hi rendition="#g">Halle</hi> über <hi rendition="#g">Künste</hi> und <hi rendition="#g">Handwerke</hi><note place="foot" n="*">Litt. Br. Th. 14. p. 328.</note>  eine neue Sprache redet: mit ästhetischen Umschreibungen   und galanten Umschweifen uns eine wächserne Nase dreht: wenn er die <hi rendition="#g">Geschichte der Thiere</hi> nicht wie ein   Lehrer der einfältigen Natur uns erzählet, sondern mit artigen und feinen Männchen uns bald   dies, bald das, als ein Schattenspiel an der Wand zeigt, damit wir ja die Brillanten an   seinen Fingern sehen sollen: so ist das ein schöner Schriftsteller von Geschmack. &#x2013; Ferner:   wenn im gemeinen Leben eine Großtante nach der alten Welt höflich zu sprechen glaubt, wenn   sie sagt: meine Füße mit Respekt zu sagen! oder, die Straße ist <hi rendition="#aq">salva venia</hi> unrein! so   lachen wir über die gute Frau. Wir lachen über das gute Mädchen, die Sachen umschreibt,   die sie für unhöflich hält, und sich <hi rendition="#g">Clystier</hi> oder <hi rendition="#g">Beinkleid</hi> zu sagen schämt. &#x2013; Aber darüber   lachen wir nicht, wenn ein Schulgelehrter für
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0008] Schorsteine neue Namen geben wollte: so war sie am Kopfe krank, und mancher Klügling hat sich über ihre Krankheit beinahe selbst krank gelacht. Aber wenn Halle über Künste und Handwerke * eine neue Sprache redet: mit ästhetischen Umschreibungen und galanten Umschweifen uns eine wächserne Nase dreht: wenn er die Geschichte der Thiere nicht wie ein Lehrer der einfältigen Natur uns erzählet, sondern mit artigen und feinen Männchen uns bald dies, bald das, als ein Schattenspiel an der Wand zeigt, damit wir ja die Brillanten an seinen Fingern sehen sollen: so ist das ein schöner Schriftsteller von Geschmack. – Ferner: wenn im gemeinen Leben eine Großtante nach der alten Welt höflich zu sprechen glaubt, wenn sie sagt: meine Füße mit Respekt zu sagen! oder, die Straße ist salva venia unrein! so lachen wir über die gute Frau. Wir lachen über das gute Mädchen, die Sachen umschreibt, die sie für unhöflich hält, und sich Clystier oder Beinkleid zu sagen schämt. – Aber darüber lachen wir nicht, wenn ein Schulgelehrter für * Litt. Br. Th. 14. p. 328.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2018-09-17T13:00:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-09-17T13:00:42Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_gedanke_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_gedanke_1767/8
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kapitel 5; Kapitel 6. In: Über die neuere Deutsche Litteratur. […] Dritte Sammlung. Riga, 1767, S. 50–75, hier S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_gedanke_1767/8>, abgerufen am 24.11.2024.