Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.son noch nicht gedichtet haben! Würdest dich Man lasse mich als Ausleger und Rhap- lehrt,
ſon noch nicht gedichtet haben! Wuͤrdeſt dich Man laſſe mich als Ausleger und Rhap- lehrt,
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ſon noch nicht gedichtet haben! Wuͤrdeſt dich
freuen, von Jedem Deiner Stuͤcke, Hand-
lung, Charakter, Meinungen, Aus-
druck, Buͤhne, wie aus zwey Punkten
des Dreyecks Linien ziehen zu koͤnnen, die
ſich oben in Einem Punkte des Zwecks, der
Vollkommenheit begegnen! Wuͤrdeſt zu
Sophokles ſagen: mahle das heilige Blatt
dieſes Altars! und du o nordiſcher Barde
alle Seiten und Waͤnde dieſes Tempels in
dein unſterbliches Fresko!
Man laſſe mich als Ausleger und Rhap-
ſodiſten fortfahren: denn ich bin Shakeſpear
naͤher als dem Griechen. Wenn bey dieſem
das Eine einer Handlung herrſcht: ſo ar-
beitet Jener auf das Ganze eines Eraͤugniſ-
ſes einer Begebenheit. Wenn bey |Je-
nem Ein Ton der Charaktere herrſchet, ſo
bey dieſem alle Charaktere, Staͤnde und Le-
bensarten, ſo viel nur faͤhig und noͤthig ſind,
den Hauptklang ſeines Concerts zu bilden.
Wenn in Jenem Eine ſingende feine Spra-
che, wie in einem hoͤhern Aether thoͤnet, ſo
ſpricht dieſer die Sprache aller Alter, Men-
ſchen und Menſcharten, iſt Dollmetſcher der
Natur in all’ ihren Zungen — und auf ſo
verſchiedenen Wegen beyde Vertraute Einer
Gottheit? — Und wenn jener Griechen
vorſtellt und lehrt und ruͤhrt und bildet, ſo
lehrt,
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