Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite
II.
Shakespear.


Wenn bey einem Manne mir jenes unge-
heure Bild einfällt: "hoch auf einen
"Felsengipfel sitzend! zu seinen Füssen, Sturm,
"Ungewitter und Brausen des Meers; aber
"sein Haupt in den Strahlen des Himmels!"
so ists bey Shakespear! -- Nur freylich
auch mit dem Zusatz, wie unten am tiefsten
Fusse seines Felsenthrones Haufen murmeln,
die ihn -- erklären, retten, verdammen,
entschuldigen, anbeten, verläumden, über-
setzen und lästern! -- und die Er alle nicht
höret!

Welche Bibliothek ist schon| über für und
wider ihn geschrieben! -- die ich nun auf
keine Weise zu vermehren Lust habe. Jch
möchte es vielmehr gern, daß in dem kleinen
Kreise, wo dies gelesen wird, es niemand
mehr in den Sinn komme, über für und
wider ihn zu schreiben: ihn weder zu entschul-
digen, noch zu verläumden; aber zu erklären,
zu fühlen wie er ist, zu nützen, und -- wo

mög-
E 5
II.
Shakeſpear.


Wenn bey einem Manne mir jenes unge-
heure Bild einfaͤllt: „hoch auf einen
„Felſengipfel ſitzend! zu ſeinen Fuͤſſen, Sturm,
„Ungewitter und Brauſen des Meers; aber
„ſein Haupt in den Strahlen des Himmels!„
ſo iſts bey Shakeſpear! — Nur freylich
auch mit dem Zuſatz, wie unten am tiefſten
Fuſſe ſeines Felſenthrones Haufen murmeln,
die ihn — erklaͤren, retten, verdammen,
entſchuldigen, anbeten, verlaͤumden, uͤber-
ſetzen und laͤſtern! — und die Er alle nicht
hoͤret!

Welche Bibliothek iſt ſchon| uͤber fuͤr und
wider ihn geſchrieben! — die ich nun auf
keine Weiſe zu vermehren Luſt habe. Jch
moͤchte es vielmehr gern, daß in dem kleinen
Kreiſe, wo dies geleſen wird, es niemand
mehr in den Sinn komme, uͤber fuͤr und
wider ihn zu ſchreiben: ihn weder zu entſchul-
digen, noch zu verlaͤumden; aber zu erklaͤren,
zu fuͤhlen wie er iſt, zu nuͤtzen, und — wo

moͤg-
E 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0077" n="73"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi><lb/><hi rendition="#g">Shake&#x017F;pear</hi>.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>enn bey einem Manne mir jenes unge-<lb/>
heure Bild einfa&#x0364;llt: &#x201E;hoch auf einen<lb/>
&#x201E;Fel&#x017F;engipfel &#x017F;itzend! zu &#x017F;einen Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, Sturm,<lb/>
&#x201E;Ungewitter und Brau&#x017F;en des Meers; aber<lb/>
&#x201E;&#x017F;ein Haupt in den Strahlen des Himmels!&#x201E;<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;ts bey <hi rendition="#fr">Shake&#x017F;pear!</hi> &#x2014; Nur freylich<lb/>
auch mit dem Zu&#x017F;atz, wie unten am tief&#x017F;ten<lb/>
Fu&#x017F;&#x017F;e &#x017F;eines Fel&#x017F;enthrones Haufen murmeln,<lb/>
die ihn &#x2014; erkla&#x0364;ren, retten, verdammen,<lb/>
ent&#x017F;chuldigen, anbeten, verla&#x0364;umden, u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;etzen und la&#x0364;&#x017F;tern! &#x2014; und die Er alle nicht<lb/>
ho&#x0364;ret!</p><lb/>
          <p>Welche Bibliothek i&#x017F;t &#x017F;chon| u&#x0364;ber fu&#x0364;r und<lb/>
wider ihn ge&#x017F;chrieben! &#x2014; die ich nun auf<lb/>
keine Wei&#x017F;e zu vermehren Lu&#x017F;t habe. Jch<lb/>
mo&#x0364;chte es vielmehr gern, daß in dem kleinen<lb/>
Krei&#x017F;e, wo dies gele&#x017F;en wird, es niemand<lb/>
mehr in den Sinn komme, u&#x0364;ber fu&#x0364;r und<lb/>
wider ihn zu &#x017F;chreiben: ihn weder zu ent&#x017F;chul-<lb/>
digen, noch zu verla&#x0364;umden; aber zu erkla&#x0364;ren,<lb/>
zu fu&#x0364;hlen wie er i&#x017F;t, zu nu&#x0364;tzen, und &#x2014; wo<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 5</fw><fw place="bottom" type="catch">mo&#x0364;g-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0077] II. Shakeſpear. Wenn bey einem Manne mir jenes unge- heure Bild einfaͤllt: „hoch auf einen „Felſengipfel ſitzend! zu ſeinen Fuͤſſen, Sturm, „Ungewitter und Brauſen des Meers; aber „ſein Haupt in den Strahlen des Himmels!„ ſo iſts bey Shakeſpear! — Nur freylich auch mit dem Zuſatz, wie unten am tiefſten Fuſſe ſeines Felſenthrones Haufen murmeln, die ihn — erklaͤren, retten, verdammen, entſchuldigen, anbeten, verlaͤumden, uͤber- ſetzen und laͤſtern! — und die Er alle nicht hoͤret! Welche Bibliothek iſt ſchon| uͤber fuͤr und wider ihn geſchrieben! — die ich nun auf keine Weiſe zu vermehren Luſt habe. Jch moͤchte es vielmehr gern, daß in dem kleinen Kreiſe, wo dies geleſen wird, es niemand mehr in den Sinn komme, uͤber fuͤr und wider ihn zu ſchreiben: ihn weder zu entſchul- digen, noch zu verlaͤumden; aber zu erklaͤren, zu fuͤhlen wie er iſt, zu nuͤtzen, und — wo moͤg- E 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/77
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/77>, abgerufen am 22.12.2024.