Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

denselben geführt werden soll. Sehen Sie z.
E. in den mehr angeführten Dodsleiischen
Reliques die alten moralischen Stücke an:
My heart to me a kingdom is u. s. w.
Sie brechen immer in ihren lyrischen Gange
nur die Blumen ihrer Moral, und kommen,
da hier kein sichtbarer Gegenstand, keine an
einander hangende Geschichte und Handlung
der Einbildung und dem Gedächtniß vorschwe-
bet, jenem immer durch Anwendung, diesem
durch Symmetrie, Refrain des Verses und
zehn andre Mittel zu statten. Hören Sie ein-
mal eine Probe der Art über den allgemeinen
Satz: Der Liebe läßt sich nicht wider-
stehen!
Wie würde ein neuer analytischer,
dogmatischer Kopf den Satz ausgeführt haben,
und nun der alte Sänger?

Ueber die Berge!
Ueber die Quellen!
Unter den Gräbern,
Unter den Wellen
Unter Tiefen und Seen
Jn der Abgründe Steg
Ueber Felsen, über Höhen
Findt Liebe den Weg.
Jn Ritzen, in Falten,
Wo der Feurwurm nicht liegt!
Jn Höhlen, in Spalten,
Wo die Fliege nicht kriecht!
Wo Mücken nicht fliegen,
Und schlüpfen hinweg,
Kommt

denſelben gefuͤhrt werden ſoll. Sehen Sie z.
E. in den mehr angefuͤhrten Dodsleiiſchen
Reliques die alten moraliſchen Stuͤcke an:
My heart to me a kingdom is u. ſ. w.
Sie brechen immer in ihren lyriſchen Gange
nur die Blumen ihrer Moral, und kommen,
da hier kein ſichtbarer Gegenſtand, keine an
einander hangende Geſchichte und Handlung
der Einbildung und dem Gedaͤchtniß vorſchwe-
bet, jenem immer durch Anwendung, dieſem
durch Symmetrie, Refrain des Verſes und
zehn andre Mittel zu ſtatten. Hoͤren Sie ein-
mal eine Probe der Art uͤber den allgemeinen
Satz: Der Liebe laͤßt ſich nicht wider-
ſtehen!
Wie wuͤrde ein neuer analytiſcher,
dogmatiſcher Kopf den Satz ausgefuͤhrt haben,
und nun der alte Saͤnger?

Ueber die Berge!
Ueber die Quellen!
Unter den Graͤbern,
Unter den Wellen
Unter Tiefen und Seen
Jn der Abgruͤnde Steg
Ueber Felſen, uͤber Hoͤhen
Findt Liebe den Weg.
Jn Ritzen, in Falten,
Wo der Feurwurm nicht liegt!
Jn Hoͤhlen, in Spalten,
Wo die Fliege nicht kriecht!
Wo Muͤcken nicht fliegen,
Und ſchluͤpfen hinweg,
Kommt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0067" n="63"/>
den&#x017F;elben gefu&#x0364;hrt werden &#x017F;oll. Sehen Sie z.<lb/>
E. in den mehr angefu&#x0364;hrten <hi rendition="#fr">Dodsleii&#x017F;chen</hi><lb/><hi rendition="#aq">Reliques</hi> die alten morali&#x017F;chen Stu&#x0364;cke an:<lb/><hi rendition="#aq">My heart to me a kingdom is</hi> u. &#x017F;. w.<lb/>
Sie brechen immer in ihren lyri&#x017F;chen Gange<lb/>
nur die Blumen ihrer Moral, und kommen,<lb/>
da hier kein &#x017F;ichtbarer Gegen&#x017F;tand, keine an<lb/>
einander hangende Ge&#x017F;chichte und Handlung<lb/>
der Einbildung und dem Geda&#x0364;chtniß vor&#x017F;chwe-<lb/>
bet, jenem immer durch Anwendung, die&#x017F;em<lb/>
durch Symmetrie, Refrain des Ver&#x017F;es und<lb/>
zehn andre Mittel zu &#x017F;tatten. Ho&#x0364;ren Sie ein-<lb/>
mal eine Probe der Art u&#x0364;ber den allgemeinen<lb/>
Satz: <hi rendition="#fr">Der Liebe la&#x0364;ßt &#x017F;ich nicht wider-<lb/>
&#x017F;tehen!</hi> Wie wu&#x0364;rde ein neuer analyti&#x017F;cher,<lb/>
dogmati&#x017F;cher Kopf den Satz ausgefu&#x0364;hrt haben,<lb/>
und nun der alte Sa&#x0364;nger?</p><lb/>
        <cit>
          <quote>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Ueber die Berge!</l><lb/>
                <l>Ueber die Quellen!</l><lb/>
                <l>Unter den Gra&#x0364;bern,</l><lb/>
                <l>Unter den Wellen</l><lb/>
                <l>Unter Tiefen und Seen</l><lb/>
                <l>Jn der Abgru&#x0364;nde Steg</l><lb/>
                <l>Ueber Fel&#x017F;en, u&#x0364;ber Ho&#x0364;hen</l><lb/>
                <l>Findt Liebe den Weg.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Jn Ritzen, in Falten,</l><lb/>
                <l>Wo der Feurwurm nicht liegt!</l><lb/>
                <l>Jn Ho&#x0364;hlen, in Spalten,</l><lb/>
                <l>Wo die Fliege nicht kriecht!</l><lb/>
                <l>Wo Mu&#x0364;cken nicht fliegen,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;chlu&#x0364;pfen hinweg,</l><lb/>
                <fw place="bottom" type="catch">Kommt</fw><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </quote>
        </cit>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0067] denſelben gefuͤhrt werden ſoll. Sehen Sie z. E. in den mehr angefuͤhrten Dodsleiiſchen Reliques die alten moraliſchen Stuͤcke an: My heart to me a kingdom is u. ſ. w. Sie brechen immer in ihren lyriſchen Gange nur die Blumen ihrer Moral, und kommen, da hier kein ſichtbarer Gegenſtand, keine an einander hangende Geſchichte und Handlung der Einbildung und dem Gedaͤchtniß vorſchwe- bet, jenem immer durch Anwendung, dieſem durch Symmetrie, Refrain des Verſes und zehn andre Mittel zu ſtatten. Hoͤren Sie ein- mal eine Probe der Art uͤber den allgemeinen Satz: Der Liebe laͤßt ſich nicht wider- ſtehen! Wie wuͤrde ein neuer analytiſcher, dogmatiſcher Kopf den Satz ausgefuͤhrt haben, und nun der alte Saͤnger? Ueber die Berge! Ueber die Quellen! Unter den Graͤbern, Unter den Wellen Unter Tiefen und Seen Jn der Abgruͤnde Steg Ueber Felſen, uͤber Hoͤhen Findt Liebe den Weg. Jn Ritzen, in Falten, Wo der Feurwurm nicht liegt! Jn Hoͤhlen, in Spalten, Wo die Fliege nicht kriecht! Wo Muͤcken nicht fliegen, Und ſchluͤpfen hinweg, Kommt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/67
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/67>, abgerufen am 27.11.2024.