Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.anderer Zusammenhang unter den Theilen des ber
anderer Zuſammenhang unter den Theilen des ber
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0064" n="60"/> anderer Zuſammenhang unter den Theilen des<lb/> Geſanges, als unter den Baͤumen und Gebuͤ-<lb/> ſchen im Walde, unter den Felſen und Grot-<lb/> ten in der Einoͤde, als unter den Scenen der<lb/> Begebenheit ſelbſt. Wenn der Groͤnlaͤnder<lb/> von ſeinem Seehundfange erzaͤhlt: ſo redet er<lb/> nicht, ſondern mahlet mit Worten nnd Bewe-<lb/> gungen, jeden Umſtand, jede Bewegung:<lb/> denn alle ſind Theile vom Bilde in ſeiner Seele.<lb/> Wenn er alſo auch ſeinem Verſtorbnen das<lb/> Leichenlob und die Todtenklage haͤlt, er lobt,<lb/> er klagt nicht: er mahlt, und das Leben des<lb/> Verſtorbnen ſelbſt, mit allen Wuͤrfen der Ein-<lb/> bildung herbeygeriſſen, muß reden und bejam-<lb/> mern. Jch entbreche mich nicht ein Fragment<lb/> der Art hieher zu ſetzen; denn da es gewoͤhn-<lb/> lich iſt, Spruͤnge und Wuͤrfe ſolcher Stuͤcke<lb/> fuͤr Tollheiten der Morgenlaͤndiſchen Hitze, fuͤr<lb/> Enthuſiasmus des Prophetengeiſtes, oder fuͤr<lb/> ſchoͤne Kunſtſpruͤnge der Ode auszugeben, und<lb/> man aus dieſen eine ſo herrliche Webertheorie<lb/> vom Plan und den Spruͤngen der Ode recht regel-<lb/> maͤßig ausgeſponnen hat: ſo moͤge hier ein<lb/> kalter Groͤnlaͤnder faſt unterm Pol hervor, ohne<lb/> Hitze und Prophetengeiſt und Odentheorie, aus<lb/> dem volles Bilde ſeiner Phantaſie reden. Alle<lb/> Grabbegleiter und Freunde des Verſtorbnen<lb/> ſitzen im Trauerhauſe, den Kopf zwiſchen die<lb/> Haͤnde, die Arme aufs Knie geſtuͤtzt: die Wei-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ber</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [60/0064]
anderer Zuſammenhang unter den Theilen des
Geſanges, als unter den Baͤumen und Gebuͤ-
ſchen im Walde, unter den Felſen und Grot-
ten in der Einoͤde, als unter den Scenen der
Begebenheit ſelbſt. Wenn der Groͤnlaͤnder
von ſeinem Seehundfange erzaͤhlt: ſo redet er
nicht, ſondern mahlet mit Worten nnd Bewe-
gungen, jeden Umſtand, jede Bewegung:
denn alle ſind Theile vom Bilde in ſeiner Seele.
Wenn er alſo auch ſeinem Verſtorbnen das
Leichenlob und die Todtenklage haͤlt, er lobt,
er klagt nicht: er mahlt, und das Leben des
Verſtorbnen ſelbſt, mit allen Wuͤrfen der Ein-
bildung herbeygeriſſen, muß reden und bejam-
mern. Jch entbreche mich nicht ein Fragment
der Art hieher zu ſetzen; denn da es gewoͤhn-
lich iſt, Spruͤnge und Wuͤrfe ſolcher Stuͤcke
fuͤr Tollheiten der Morgenlaͤndiſchen Hitze, fuͤr
Enthuſiasmus des Prophetengeiſtes, oder fuͤr
ſchoͤne Kunſtſpruͤnge der Ode auszugeben, und
man aus dieſen eine ſo herrliche Webertheorie
vom Plan und den Spruͤngen der Ode recht regel-
maͤßig ausgeſponnen hat: ſo moͤge hier ein
kalter Groͤnlaͤnder faſt unterm Pol hervor, ohne
Hitze und Prophetengeiſt und Odentheorie, aus
dem volles Bilde ſeiner Phantaſie reden. Alle
Grabbegleiter und Freunde des Verſtorbnen
ſitzen im Trauerhauſe, den Kopf zwiſchen die
Haͤnde, die Arme aufs Knie geſtuͤtzt: die Wei-
ber
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