also, der kein Kunstrichter ist, erlauben Sie also in dergleichen Fällen mir wenigstens, mich freyherrlicher maassen des Zeichens (') bedie- nen zu können, nach bestem Belieben u. s. w.
...Und so führen Sie mich wieder auf meine abgebrochne Materie: "wo- "her anscheinend einfältige Völker sich an der- "gleichen kühne Sprünge und Wendungen "haben gewöhnen können?" Gewöhnen wäre immer das Leichteste zu erklären: denn wozu kann man sich nicht gewöhnen, wenn man nichts anders hat und kennet? Da wird uns im kur- zen die Hütte zum Pallast, und der Fels zum ebnen Wege -- aber darauf kommen? Es als eigne Natur so lieben können? Das ist die Frage, und die Antwont drauf sehr kurz: weil das in der That die Art der Einbildung ist, und sie auf keinem engern Wege je fortgehen kann.
Alle Gesänge solcher wilden Völker weben um daseyende Gegenstände, Handlungen, Be- gebenheiten, um eine lebendige Welt! Wie reich und vielfach sind da nun Umstände, gegen- wärtige Züge, Theilvorfälle! Und alle hat das Auge gesehen! Die Seele stellet sie sich vor! Das setzt Sprünge und Würfe! Es ist kein
anderer
alſo, der kein Kunſtrichter iſt, erlauben Sie alſo in dergleichen Faͤllen mir wenigſtens, mich freyherrlicher maaſſen des Zeichens (’) bedie- nen zu koͤnnen, nach beſtem Belieben u. ſ. w.
…Und ſo fuͤhren Sie mich wieder auf meine abgebrochne Materie: „wo- „her anſcheinend einfaͤltige Voͤlker ſich an der- „gleichen kuͤhne Spruͤnge und Wendungen „haben gewoͤhnen koͤnnen?„ Gewoͤhnen waͤre immer das Leichteſte zu erklaͤren: denn wozu kann man ſich nicht gewoͤhnen, wenn man nichts anders hat und kennet? Da wird uns im kur- zen die Huͤtte zum Pallaſt, und der Fels zum ebnen Wege — aber darauf kommen? Es als eigne Natur ſo lieben koͤnnen? Das iſt die Frage, und die Antwont drauf ſehr kurz: weil das in der That die Art der Einbildung iſt, und ſie auf keinem engern Wege je fortgehen kann.
Alle Geſaͤnge ſolcher wilden Voͤlker weben um daſeyende Gegenſtaͤnde, Handlungen, Be- gebenheiten, um eine lebendige Welt! Wie reich und vielfach ſind da nun Umſtaͤnde, gegen- waͤrtige Zuͤge, Theilvorfaͤlle! Und alle hat das Auge geſehen! Die Seele ſtellet ſie ſich vor! Das ſetzt Spruͤnge und Wuͤrfe! Es iſt kein
anderer
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0063"n="59"/>
alſo, der kein Kunſtrichter iſt, erlauben Sie<lb/>
alſo in dergleichen Faͤllen mir wenigſtens, mich<lb/>
freyherrlicher maaſſen des Zeichens (’) bedie-<lb/>
nen zu koͤnnen, nach beſtem Belieben u. ſ. w.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>…<hirendition="#in">U</hi>nd ſo fuͤhren Sie mich wieder auf<lb/>
meine abgebrochne Materie: „wo-<lb/>„her anſcheinend einfaͤltige Voͤlker ſich an der-<lb/>„gleichen kuͤhne Spruͤnge und Wendungen<lb/>„haben gewoͤhnen koͤnnen?„ Gewoͤhnen waͤre<lb/>
immer das Leichteſte zu erklaͤren: denn wozu<lb/>
kann man ſich nicht gewoͤhnen, wenn man nichts<lb/>
anders hat und kennet? Da wird uns im kur-<lb/>
zen die Huͤtte zum Pallaſt, und der Fels zum<lb/>
ebnen Wege — aber darauf kommen? Es als<lb/>
eigne Natur ſo lieben koͤnnen? Das iſt die<lb/>
Frage, und die Antwont drauf ſehr kurz: weil<lb/>
das in der That die Art der Einbildung iſt,<lb/>
und ſie auf keinem engern Wege je fortgehen<lb/>
kann.</p><lb/><p>Alle Geſaͤnge ſolcher wilden Voͤlker weben<lb/>
um daſeyende Gegenſtaͤnde, Handlungen, Be-<lb/>
gebenheiten, um eine lebendige Welt! Wie<lb/>
reich und vielfach ſind da nun Umſtaͤnde, gegen-<lb/>
waͤrtige Zuͤge, Theilvorfaͤlle! Und alle hat das<lb/>
Auge geſehen! Die Seele ſtellet ſie ſich vor!<lb/>
Das ſetzt Spruͤnge und Wuͤrfe! Es iſt kein<lb/><fwplace="bottom"type="catch">anderer</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[59/0063]
alſo, der kein Kunſtrichter iſt, erlauben Sie
alſo in dergleichen Faͤllen mir wenigſtens, mich
freyherrlicher maaſſen des Zeichens (’) bedie-
nen zu koͤnnen, nach beſtem Belieben u. ſ. w.
…Und ſo fuͤhren Sie mich wieder auf
meine abgebrochne Materie: „wo-
„her anſcheinend einfaͤltige Voͤlker ſich an der-
„gleichen kuͤhne Spruͤnge und Wendungen
„haben gewoͤhnen koͤnnen?„ Gewoͤhnen waͤre
immer das Leichteſte zu erklaͤren: denn wozu
kann man ſich nicht gewoͤhnen, wenn man nichts
anders hat und kennet? Da wird uns im kur-
zen die Huͤtte zum Pallaſt, und der Fels zum
ebnen Wege — aber darauf kommen? Es als
eigne Natur ſo lieben koͤnnen? Das iſt die
Frage, und die Antwont drauf ſehr kurz: weil
das in der That die Art der Einbildung iſt,
und ſie auf keinem engern Wege je fortgehen
kann.
Alle Geſaͤnge ſolcher wilden Voͤlker weben
um daſeyende Gegenſtaͤnde, Handlungen, Be-
gebenheiten, um eine lebendige Welt! Wie
reich und vielfach ſind da nun Umſtaͤnde, gegen-
waͤrtige Zuͤge, Theilvorfaͤlle! Und alle hat das
Auge geſehen! Die Seele ſtellet ſie ſich vor!
Das ſetzt Spruͤnge und Wuͤrfe! Es iſt kein
anderer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/63>, abgerufen am 15.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.