"Dein Wort und Treu geb ich dir nicht, Geb's nimmer wieder Dir! "Bis du mich führst zur Kirch' hinan Mit Treuering dafür!" Und an der Kirche lieg' ich schon Und bin ein Todtenbein! 'S ist, süsses Hannchen, nur mein Geist, Der hier zu dir kommt ein! Ausstreckt sie ihre Liljenhand Streckt bebend sie ihm zu: "Da, Wilhelm, hast du Wort und Treu, Und geh, und geh zur Ruh! Und schnell warf sie die Kleider an Und ging dem Geiste nach, Die ganze lange Winternacht Ging sie dem Geiste nach. "Jst, Wilhelm, Raum noch, dir zu Haupt, Noch Raum zu Füssen dir? "Jst Ranm zu deiner Seite noch, So gib, o gib ihn mir! Zu Haupt und Fuß ist mir nicht Raum Kein Raum zur Seite mir! Mein Sarg ist, süsses Hannchen, schmal Das ich ihn gebe Dir! Da kräht der Hahn! da schlug die Uhr! Da brach der Morgen für! "Ach, Hannchen, nun, nun kommt die Zeit, Zu scheiden weg von Dir!" Der Geist -- und mehr, mehr sprach er nicht Und seufzte traurig drein Und schwand in Nacht und Dunkel hin Und sie, sie stand allein! "Bleib, treue Liebe! bleibe| noch Dein Mädchen rufet dich!" Da brach ihr Blick! ihr Leib der sank, Und ihre Wang' erblich! --
Nun
„Dein Wort und Treu geb ich dir nicht, Geb’s nimmer wieder Dir! „Bis du mich fuͤhrſt zur Kirch’ hinan Mit Treuering dafuͤr!‟ Und an der Kirche lieg’ ich ſchon Und bin ein Todtenbein! ’S iſt, ſuͤſſes Hannchen, nur mein Geiſt, Der hier zu dir kommt ein! Ausſtreckt ſie ihre Liljenhand Streckt bebend ſie ihm zu: „Da, Wilhelm, haſt du Wort und Treu, Und geh, und geh zur Ruh! Und ſchnell warf ſie die Kleider an Und ging dem Geiſte nach, Die ganze lange Winternacht Ging ſie dem Geiſte nach. „Jſt, Wilhelm, Raum noch, dir zu Haupt, Noch Raum zu Fuͤſſen dir? „Jſt Ranm zu deiner Seite noch, So gib, o gib ihn mir! Zu Haupt und Fuß iſt mir nicht Raum Kein Raum zur Seite mir! Mein Sarg iſt, ſuͤſſes Hannchen, ſchmal Das ich ihn gebe Dir! Da kraͤht der Hahn! da ſchlug die Uhr! Da brach der Morgen fuͤr! „Ach, Hannchen, nun, nun kommt die Zeit, Zu ſcheiden weg von Dir!‟ Der Geiſt — und mehr, mehr ſprach er nicht Und ſeufzte traurig drein Und ſchwand in Nacht und Dunkel hin Und ſie, ſie ſtand allein! „Bleib, treue Liebe! bleibe| noch Dein Maͤdchen rufet dich!‟ Da brach ihr Blick! ihr Leib der ſank, Und ihre Wang’ erblich! —
Nun
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„Dein Wort und Treu geb ich dir nicht,
Geb’s nimmer wieder Dir!
„Bis du mich fuͤhrſt zur Kirch’ hinan
Mit Treuering dafuͤr!‟
Und an der Kirche lieg’ ich ſchon
Und bin ein Todtenbein!
’S iſt, ſuͤſſes Hannchen, nur mein Geiſt,
Der hier zu dir kommt ein!
Ausſtreckt ſie ihre Liljenhand
Streckt bebend ſie ihm zu:
„Da, Wilhelm, haſt du Wort und Treu,
Und geh, und geh zur Ruh!
Und ſchnell warf ſie die Kleider an
Und ging dem Geiſte nach,
Die ganze lange Winternacht
Ging ſie dem Geiſte nach.
„Jſt, Wilhelm, Raum noch, dir zu Haupt,
Noch Raum zu Fuͤſſen dir?
„Jſt Ranm zu deiner Seite noch,
So gib, o gib ihn mir!
Zu Haupt und Fuß iſt mir nicht Raum
Kein Raum zur Seite mir!
Mein Sarg iſt, ſuͤſſes Hannchen, ſchmal
Das ich ihn gebe Dir!
Da kraͤht der Hahn! da ſchlug die Uhr!
Da brach der Morgen fuͤr!
„Ach, Hannchen, nun, nun kommt die Zeit,
Zu ſcheiden weg von Dir!‟
Der Geiſt — und mehr, mehr ſprach er nicht
Und ſeufzte traurig drein
Und ſchwand in Nacht und Dunkel hin
Und ſie, ſie ſtand allein!
„Bleib, treue Liebe! bleibe| noch
Dein Maͤdchen rufet dich!‟
Da brach ihr Blick! ihr Leib der ſank,
Und ihre Wang’ erblich! —
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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/54>, abgerufen am 15.08.2024.
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