durch ein Schnelles, so durch ein Tiefes und Beständiges des Eindrucks aus. Sie dauren, und die Seele findet bey jedem neuen wieder- holten Eindruck gleichsam noch etwas Tiefers und Vollendetes, was sie anfangs nicht be- merkte. Von der zweiten Art muß z. E. Klop- stock in den ausströmendsten Stellen seiner Gedichte seyn: Gleim, dessen Gedichte so viel Sichtbares vom Ersten Wurf haben: Ja- cobi, dessen Verse Nichts, als sanfte Unter- haltungen des Moments werden, und andre, die die Sache freylich nachher bis zu jeder Nach- lässigkeit übertrieben haben. Rammler, glaube ich, sucht beyde Arten zu verbinden, ob freylich gleich die Erste, die Ausgedachte, bey ihm ungleich sichtbarer ist. Wieland sucht sie zu verbinden, ob er gleich immer doch mehr, aus dem Fach der Weltkenntniß seines Herzens zu schreiben scheint, Gerstenberg zu verbinden -- und überhaupt verbindet sie in gewissem Maasse jeder glückliche Kopf: denn so entfernt beyde Arten im Anfange scheinen; so wenig Ein Genie sich der Art des Andern aus dem Stegreife bemächtigen kann: so kom- men sie doch endlich beyde überein; lange und stark und lebendig gedacht, oder schnell und würksam empfunden -- im Punkt der Thä- thigkeit wird beydes improptns, oder bekömmt die, Festigkeit, Wahrheit, Lebhaftigkeit und
Sicher-
durch ein Schnelles, ſo durch ein Tiefes und Beſtaͤndiges des Eindrucks aus. Sie dauren, und die Seele findet bey jedem neuen wieder- holten Eindruck gleichſam noch etwas Tiefers und Vollendetes, was ſie anfangs nicht be- merkte. Von der zweiten Art muß z. E. Klop- ſtock in den ausſtroͤmendſten Stellen ſeiner Gedichte ſeyn: Gleim, deſſen Gedichte ſo viel Sichtbares vom Erſten Wurf haben: Ja- cobi, deſſen Verſe Nichts, als ſanfte Unter- haltungen des Moments werden, und andre, die die Sache freylich nachher bis zu jeder Nach- laͤſſigkeit uͤbertrieben haben. Rammler, glaube ich, ſucht beyde Arten zu verbinden, ob freylich gleich die Erſte, die Ausgedachte, bey ihm ungleich ſichtbarer iſt. Wieland ſucht ſie zu verbinden, ob er gleich immer doch mehr, aus dem Fach der Weltkenntniß ſeines Herzens zu ſchreiben ſcheint, Gerſtenberg zu verbinden — und uͤberhaupt verbindet ſie in gewiſſem Maaſſe jeder gluͤckliche Kopf: denn ſo entfernt beyde Arten im Anfange ſcheinen; ſo wenig Ein Genie ſich der Art des Andern aus dem Stegreife bemaͤchtigen kann: ſo kom- men ſie doch endlich beyde uͤberein; lange und ſtark und lebendig gedacht, oder ſchnell und wuͤrkſam empfunden — im Punkt der Thaͤ- thigkeit wird beydes improptns, oder bekoͤmmt die, Feſtigkeit, Wahrheit, Lebhaftigkeit und
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durch ein Schnelles, ſo durch ein Tiefes und
Beſtaͤndiges des Eindrucks aus. Sie dauren,
und die Seele findet bey jedem neuen wieder-
holten Eindruck gleichſam noch etwas Tiefers
und Vollendetes, was ſie anfangs nicht be-
merkte. Von der zweiten Art muß z. E. Klop-
ſtock in den ausſtroͤmendſten Stellen ſeiner
Gedichte ſeyn: Gleim, deſſen Gedichte ſo
viel Sichtbares vom Erſten Wurf haben: Ja-
cobi, deſſen Verſe Nichts, als ſanfte Unter-
haltungen des Moments werden, und andre,
die die Sache freylich nachher bis zu jeder Nach-
laͤſſigkeit uͤbertrieben haben. Rammler,
glaube ich, ſucht beyde Arten zu verbinden,
ob freylich gleich die Erſte, die Ausgedachte,
bey ihm ungleich ſichtbarer iſt. Wieland
ſucht ſie zu verbinden, ob er gleich immer doch
mehr, aus dem Fach der Weltkenntniß ſeines
Herzens zu ſchreiben ſcheint, Gerſtenberg
zu verbinden — und uͤberhaupt verbindet ſie
in gewiſſem Maaſſe jeder gluͤckliche Kopf: denn
ſo entfernt beyde Arten im Anfange ſcheinen;
ſo wenig Ein Genie ſich der Art des Andern
aus dem Stegreife bemaͤchtigen kann: ſo kom-
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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/49>, abgerufen am 16.07.2024.
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