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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

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unsichtbaren Verhältniß keine neue finden
lassen wollten. Die Freyheit litt dadurch un-
gemein, und der ganze Staat arbeitete einer
neuen Verfassung entgegen, worin allmählig
jeder Mensch, eben wie unter den spätern rö-
mischen Kaisern, zum Bürger oder Rechts-
genossen aufgenommen, und seine Verbind-
lichkeit und Pflicht auf der blossen Eigenschaft
von Unterthanen gegründet werden sollte.
Eine Verfassung, wobey Deutschland hätte
glücklich werden können, wenn es seine Grösse
immerfort auf die Handlung gegründet, diese
zu seinem Hauptinteresse gemacht und dem per-
sönlichen Fleisse und baaren Vermögen in be-
stimmten Verhältnissen gleiche Ehre mit dem
Landeigenthum gegeben hätte, indem alsdann
die damals verbundene und mächtige Städte
das Nationalinteresse auf dem Reichstage
mehrentheils allein entschieden, Schiffe, Volk
und Steuren bewilligt, und die Zerreissung
in so viele kleine Territorien, deren eins im-
mer seinen Privatvortheil zum Nachtheil des
andern sucht, wohl verhindert haben würden.

Der vierten Periode haben wir die glück-
liche Landeshoheit oder vielmehr nur ihre
Vollkommenheit zu danken. Jhr erster Grund
lag in der Reichsvogtey, welche sich nach dem
Maasse erhob und ausdehnte, als die Karo-
lingische Grafschaft, wovon uns keine einzige

übrig

unſichtbaren Verhaͤltniß keine neue finden
laſſen wollten. Die Freyheit litt dadurch un-
gemein, und der ganze Staat arbeitete einer
neuen Verfaſſung entgegen, worin allmaͤhlig
jeder Menſch, eben wie unter den ſpaͤtern roͤ-
miſchen Kaiſern, zum Buͤrger oder Rechts-
genoſſen aufgenommen, und ſeine Verbind-
lichkeit und Pflicht auf der bloſſen Eigenſchaft
von Unterthanen gegruͤndet werden ſollte.
Eine Verfaſſung, wobey Deutſchland haͤtte
gluͤcklich werden koͤnnen, wenn es ſeine Groͤſſe
immerfort auf die Handlung gegruͤndet, dieſe
zu ſeinem Hauptintereſſe gemacht und dem per-
ſoͤnlichen Fleiſſe und baaren Vermoͤgen in be-
ſtimmten Verhaͤltniſſen gleiche Ehre mit dem
Landeigenthum gegeben haͤtte, indem alsdann
die damals verbundene und maͤchtige Staͤdte
das Nationalintereſſe auf dem Reichstage
mehrentheils allein entſchieden, Schiffe, Volk
und Steuren bewilligt, und die Zerreiſſung
in ſo viele kleine Territorien, deren eins im-
mer ſeinen Privatvortheil zum Nachtheil des
andern ſucht, wohl verhindert haben wuͤrden.

Der vierten Periode haben wir die gluͤck-
liche Landeshoheit oder vielmehr nur ihre
Vollkommenheit zu danken. Jhr erſter Grund
lag in der Reichsvogtey, welche ſich nach dem
Maaſſe erhob und ausdehnte, als die Karo-
lingiſche Grafſchaft, wovon uns keine einzige

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[173/0177] unſichtbaren Verhaͤltniß keine neue finden laſſen wollten. Die Freyheit litt dadurch un- gemein, und der ganze Staat arbeitete einer neuen Verfaſſung entgegen, worin allmaͤhlig jeder Menſch, eben wie unter den ſpaͤtern roͤ- miſchen Kaiſern, zum Buͤrger oder Rechts- genoſſen aufgenommen, und ſeine Verbind- lichkeit und Pflicht auf der bloſſen Eigenſchaft von Unterthanen gegruͤndet werden ſollte. Eine Verfaſſung, wobey Deutſchland haͤtte gluͤcklich werden koͤnnen, wenn es ſeine Groͤſſe immerfort auf die Handlung gegruͤndet, dieſe zu ſeinem Hauptintereſſe gemacht und dem per- ſoͤnlichen Fleiſſe und baaren Vermoͤgen in be- ſtimmten Verhaͤltniſſen gleiche Ehre mit dem Landeigenthum gegeben haͤtte, indem alsdann die damals verbundene und maͤchtige Staͤdte das Nationalintereſſe auf dem Reichstage mehrentheils allein entſchieden, Schiffe, Volk und Steuren bewilligt, und die Zerreiſſung in ſo viele kleine Territorien, deren eins im- mer ſeinen Privatvortheil zum Nachtheil des andern ſucht, wohl verhindert haben wuͤrden. Der vierten Periode haben wir die gluͤck- liche Landeshoheit oder vielmehr nur ihre Vollkommenheit zu danken. Jhr erſter Grund lag in der Reichsvogtey, welche ſich nach dem Maaſſe erhob und ausdehnte, als die Karo- lingiſche Grafſchaft, wovon uns keine einzige uͤbrig

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/177>, abgerufen am 24.12.2024.