Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.liche Bestandtheil des Gebäudes, und der Und doch dünkt mich, lieber Abt, hätte Säule ist mit nichten ein Bestandtheil un- Eure Gebäude stellen euch also Flächen dar, gen
liche Beſtandtheil des Gebaͤudes, und der Und doch duͤnkt mich, lieber Abt, haͤtte Saͤule iſt mit nichten ein Beſtandtheil un- Eure Gebaͤude ſtellen euch alſo Flaͤchen dar, gen
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0130" n="126"/> liche Beſtandtheil des Gebaͤudes, und der<lb/> ſchoͤnſte. Welche erhabene Eleganz der Form,<lb/> welche reine mannigfaltige Groͤſſe, wenn ſie<lb/> in Reihen da ſtehn! Nur huͤtet euch ſie un-<lb/> gehoͤrig zu brauchen; ihre Natur iſt, freyzu-<lb/> ſtehn. Wehe den Elenden, die ihren ſchlan-<lb/> ken Wuchs, an plumpe Mauern geſchmiedet<lb/> haben!</p><lb/> <p>Und doch duͤnkt mich, lieber Abt, haͤtte<lb/> die oͤftere Wiederholung dieſer Unſchicklichkeit<lb/> des Saͤuleneinmauerns, daß die Neuern ſogar<lb/> antiker Tempel Jnterkolumnia mit Mauer-<lb/> werk ausſtopften, dir einiges Nachdenken er-<lb/> regen koͤnnen. Waͤre dein Ohr nicht fuͤr<lb/> Wahrheit taub, dieſe Steine wuͤrden ſie dir<lb/> gepredigt haben.</p><lb/> <p>Saͤule iſt mit nichten ein Beſtandtheil un-<lb/> ſrer Wohnungen; ſie widerſpricht vielmehr<lb/> dem Weſen all unſrer Gebaͤude. Unſre Haͤu-<lb/> ſer entſtehen nicht aus vier Saͤulen in vier<lb/> Ecken; ſie entſiehen aus vier Mauern auf<lb/> vier Seiten, die ſtatt aller Saͤulen ſind, alle<lb/> Saͤulen ausſchlieſſen, und wo ihr ſie anflickt,<lb/> ſind ſie belaſtender Ueberfluß. Eben das<lb/> gilt von unſern Pallaͤſten und Kirchen. We-<lb/> nige Faͤlle ausgenommen, auf die ich nicht zu<lb/> achten brauche.</p><lb/> <p>Eure Gebaͤude ſtellen euch alſo Flaͤchen dar,<lb/> die, je weiter ſie ſich ausbreiten, je kuͤhner ſie<lb/> <fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [126/0130]
liche Beſtandtheil des Gebaͤudes, und der
ſchoͤnſte. Welche erhabene Eleganz der Form,
welche reine mannigfaltige Groͤſſe, wenn ſie
in Reihen da ſtehn! Nur huͤtet euch ſie un-
gehoͤrig zu brauchen; ihre Natur iſt, freyzu-
ſtehn. Wehe den Elenden, die ihren ſchlan-
ken Wuchs, an plumpe Mauern geſchmiedet
haben!
Und doch duͤnkt mich, lieber Abt, haͤtte
die oͤftere Wiederholung dieſer Unſchicklichkeit
des Saͤuleneinmauerns, daß die Neuern ſogar
antiker Tempel Jnterkolumnia mit Mauer-
werk ausſtopften, dir einiges Nachdenken er-
regen koͤnnen. Waͤre dein Ohr nicht fuͤr
Wahrheit taub, dieſe Steine wuͤrden ſie dir
gepredigt haben.
Saͤule iſt mit nichten ein Beſtandtheil un-
ſrer Wohnungen; ſie widerſpricht vielmehr
dem Weſen all unſrer Gebaͤude. Unſre Haͤu-
ſer entſtehen nicht aus vier Saͤulen in vier
Ecken; ſie entſiehen aus vier Mauern auf
vier Seiten, die ſtatt aller Saͤulen ſind, alle
Saͤulen ausſchlieſſen, und wo ihr ſie anflickt,
ſind ſie belaſtender Ueberfluß. Eben das
gilt von unſern Pallaͤſten und Kirchen. We-
nige Faͤlle ausgenommen, auf die ich nicht zu
achten brauche.
Eure Gebaͤude ſtellen euch alſo Flaͤchen dar,
die, je weiter ſie ſich ausbreiten, je kuͤhner ſie
gen
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