Der sollte nicht mein Freund seyn, der bey diesem so einfältigen, Nichtssagenden Liede, insonderheit lebendig gesungen, nichts mit fühlte! Jndessen, wenn es übersetzt würde (Wieland hat es, so wie die Meisten dieser Art, nicht übersetzt!) wenn der Einige fast, dem ich hiezu Biegsamkeit zutraue, der Sän- ger des Skaldengesanges und der Grabschrift Aspasiens, und des griechischen Schnitterlied- chens und der süssen Nänie auf Wachtel und das Schnittermädchen des Himmels, und auf die Herzensangst jenes guten Pfarrers -- wenn dieser Dichter, der so Mancherley, und dies Mancherley so vortreflich seyn kann, es übersetzte, wie anders erhält er den Abdruck der innern Empfindung, als durch den Ab- druck des Aeussern, des Sinnlichen, in Form, Klang, Ton, Melodie, alles des Dunklen, Unnennbaren, was uns mit dem Gesange stromweise in die Seele fliesset. Schlagen Sie die Dodslei'schen Reliques of ancient Poetry auf, von Einem Ende zum Andern; übersetzen Sie was und wie schön Sie es wollen, aber ausser dem Ton des Ge- sanges, und sehen Sie denn, was Sie ha- ben werden!
Sie kennen doch die liebe, süsse Romanze, von der ich mich wundere, daß sie sich in den
Dods-
A 5
Der ſollte nicht mein Freund ſeyn, der bey dieſem ſo einfaͤltigen, Nichtsſagenden Liede, inſonderheit lebendig geſungen, nichts mit fuͤhlte! Jndeſſen, wenn es uͤberſetzt wuͤrde (Wieland hat es, ſo wie die Meiſten dieſer Art, nicht uͤberſetzt!) wenn der Einige faſt, dem ich hiezu Biegſamkeit zutraue, der Saͤn- ger des Skaldengeſanges und der Grabſchrift Aſpaſiens, und des griechiſchen Schnitterlied- chens und der ſuͤſſen Naͤnie auf Wachtel und das Schnittermaͤdchen des Himmels, und auf die Herzensangſt jenes guten Pfarrers — wenn dieſer Dichter, der ſo Mancherley, und dies Mancherley ſo vortreflich ſeyn kann, es uͤberſetzte, wie anders erhaͤlt er den Abdruck der innern Empfindung, als durch den Ab- druck des Aeuſſern, des Sinnlichen, in Form, Klang, Ton, Melodie, alles des Dunklen, Unnennbaren, was uns mit dem Geſange ſtromweiſe in die Seele flieſſet. Schlagen Sie die Dodslei’ſchen Reliques of ancient Poetry auf, von Einem Ende zum Andern; uͤberſetzen Sie was und wie ſchoͤn Sie es wollen, aber auſſer dem Ton des Ge- ſanges, und ſehen Sie denn, was Sie ha- ben werden!
Sie kennen doch die liebe, ſuͤſſe Romanze, von der ich mich wundere, daß ſie ſich in den
Dods-
A 5
<TEI><text><body><divn="1"><pbn="9"facs="#f0013"/><p>Der ſollte nicht mein Freund ſeyn, der bey<lb/>
dieſem ſo einfaͤltigen, Nichtsſagenden Liede,<lb/>
inſonderheit lebendig geſungen, nichts mit<lb/>
fuͤhlte! Jndeſſen, wenn es uͤberſetzt wuͤrde<lb/>
(<hirendition="#fr">Wieland</hi> hat es, ſo wie die Meiſten dieſer<lb/>
Art, nicht uͤberſetzt!) wenn der Einige faſt,<lb/>
dem ich hiezu Biegſamkeit zutraue, der Saͤn-<lb/>
ger des Skaldengeſanges und der Grabſchrift<lb/>
Aſpaſiens, und des griechiſchen Schnitterlied-<lb/>
chens und der ſuͤſſen Naͤnie auf Wachtel und<lb/>
das Schnittermaͤdchen des Himmels, und auf<lb/>
die Herzensangſt jenes guten Pfarrers —<lb/>
wenn dieſer Dichter, der ſo Mancherley, und<lb/>
dies Mancherley ſo vortreflich ſeyn kann, es<lb/>
uͤberſetzte, wie anders erhaͤlt er den Abdruck<lb/>
der innern Empfindung, als durch den Ab-<lb/>
druck des Aeuſſern, des Sinnlichen, in<lb/>
Form, Klang, Ton, Melodie, alles des<lb/>
Dunklen, Unnennbaren, was uns mit dem<lb/>
Geſange ſtromweiſe in die Seele flieſſet.<lb/>
Schlagen Sie die Dodslei’ſchen <hirendition="#aq">Reliques of<lb/>
ancient Poetry</hi> auf, von Einem Ende zum<lb/>
Andern; uͤberſetzen Sie was und wie ſchoͤn<lb/>
Sie es wollen, aber auſſer dem Ton des Ge-<lb/>ſanges, und ſehen Sie denn, was Sie ha-<lb/>
ben werden!</p><lb/><p>Sie kennen doch die liebe, ſuͤſſe Romanze,<lb/>
von der ich mich wundere, daß ſie ſich in den<lb/><fwtype="sig"place="bottom">A 5</fw><fwtype="catch"place="bottom">Dods-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[9/0013]
Der ſollte nicht mein Freund ſeyn, der bey
dieſem ſo einfaͤltigen, Nichtsſagenden Liede,
inſonderheit lebendig geſungen, nichts mit
fuͤhlte! Jndeſſen, wenn es uͤberſetzt wuͤrde
(Wieland hat es, ſo wie die Meiſten dieſer
Art, nicht uͤberſetzt!) wenn der Einige faſt,
dem ich hiezu Biegſamkeit zutraue, der Saͤn-
ger des Skaldengeſanges und der Grabſchrift
Aſpaſiens, und des griechiſchen Schnitterlied-
chens und der ſuͤſſen Naͤnie auf Wachtel und
das Schnittermaͤdchen des Himmels, und auf
die Herzensangſt jenes guten Pfarrers —
wenn dieſer Dichter, der ſo Mancherley, und
dies Mancherley ſo vortreflich ſeyn kann, es
uͤberſetzte, wie anders erhaͤlt er den Abdruck
der innern Empfindung, als durch den Ab-
druck des Aeuſſern, des Sinnlichen, in
Form, Klang, Ton, Melodie, alles des
Dunklen, Unnennbaren, was uns mit dem
Geſange ſtromweiſe in die Seele flieſſet.
Schlagen Sie die Dodslei’ſchen Reliques of
ancient Poetry auf, von Einem Ende zum
Andern; uͤberſetzen Sie was und wie ſchoͤn
Sie es wollen, aber auſſer dem Ton des Ge-
ſanges, und ſehen Sie denn, was Sie ha-
ben werden!
Sie kennen doch die liebe, ſuͤſſe Romanze,
von der ich mich wundere, daß ſie ſich in den
Dods-
A 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/13>, abgerufen am 02.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.