Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.denschaft, Gedankenfolge und Maaß der lung,
denſchaft, Gedankenfolge und Maaß der lung,
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0110" n="106"/> denſchaft, Gedankenfolge und Maaß der<lb/> Aufmerkſamkeit in oder auſſerhalb der Seele<lb/> ſind? Haſt du denn, gutherziger Uhrſteller<lb/> des Drama, nie Zeiten in deinem Leben ge-<lb/> habt, wo dir Stunden zu Augenblicken und<lb/> Tage zu Stunden; Gegentheils aber auch<lb/> Stunden zu Tagen, und Nachtwachen zu<lb/> Jahren geworden ſind? Haſt du keine Si-<lb/> tuationen in deinem Leben gehabt, wo deine<lb/> Seele Einmal ganz auſſer dir wohnte, hier<lb/> in dieſem romantiſchen Zimmer deiner Ge-<lb/> liebten, dort auf jener ſtarren Leiche, hier<lb/> in dieſem Druͤckenden aͤuſſerer, beſchaͤmen-<lb/> der Noth — jetzt wieder uͤber Welt und<lb/> Zeit hinausflog, Raͤume und Weltgegenden<lb/> uͤberſpringet, alles um ſich vergaß, und im<lb/> Himmel, in der Seele, im Herzen deſſen<lb/> biſt, deſſen Exſiſtenz du nun empfindeſt? Und<lb/> wenn das in deinem traͤgen, ſchlaͤfrigen Wurm-<lb/> und Baumleben moͤglich iſt, wo dich ja Wur-<lb/> zeln gnug am todten Boden deiner Stelle<lb/> feſthalten, und jeder Kreis, den du ſchleppeſt,<lb/> dir langſames Moment gnug iſt, deinen<lb/> Wurmgang auszumeſſen — nun denke dich<lb/> Einen Augenblick in Eine andre, eine Dich-<lb/> terwelt nur in einen Traum? Haſt du nie<lb/> gefuͤhlt, wie im Traum dir Ort und Zeit<lb/> ſchwinden? was das alſo fuͤr unweſentliche<lb/> Dinge, fuͤr Schatten gegen das was <hi rendition="#fr">Hand-</hi><lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">lung,</hi></fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [106/0110]
denſchaft, Gedankenfolge und Maaß der
Aufmerkſamkeit in oder auſſerhalb der Seele
ſind? Haſt du denn, gutherziger Uhrſteller
des Drama, nie Zeiten in deinem Leben ge-
habt, wo dir Stunden zu Augenblicken und
Tage zu Stunden; Gegentheils aber auch
Stunden zu Tagen, und Nachtwachen zu
Jahren geworden ſind? Haſt du keine Si-
tuationen in deinem Leben gehabt, wo deine
Seele Einmal ganz auſſer dir wohnte, hier
in dieſem romantiſchen Zimmer deiner Ge-
liebten, dort auf jener ſtarren Leiche, hier
in dieſem Druͤckenden aͤuſſerer, beſchaͤmen-
der Noth — jetzt wieder uͤber Welt und
Zeit hinausflog, Raͤume und Weltgegenden
uͤberſpringet, alles um ſich vergaß, und im
Himmel, in der Seele, im Herzen deſſen
biſt, deſſen Exſiſtenz du nun empfindeſt? Und
wenn das in deinem traͤgen, ſchlaͤfrigen Wurm-
und Baumleben moͤglich iſt, wo dich ja Wur-
zeln gnug am todten Boden deiner Stelle
feſthalten, und jeder Kreis, den du ſchleppeſt,
dir langſames Moment gnug iſt, deinen
Wurmgang auszumeſſen — nun denke dich
Einen Augenblick in Eine andre, eine Dich-
terwelt nur in einen Traum? Haſt du nie
gefuͤhlt, wie im Traum dir Ort und Zeit
ſchwinden? was das alſo fuͤr unweſentliche
Dinge, fuͤr Schatten gegen das was Hand-
lung,
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