kein dramatischer Dichter? Der hundert Auf- tritte einer Weltbegebenheit mit dem Arm umfaßt, mit dem Blick ordnet, mit der Ei- nen durchhauchenden, Alles belebenden Seele erfüllet, und nicht Aufmerksamkeit; Herz, alle Leidenschaften, die ganze Seele von An- fang bis zu Ende fortreißt -- wenn nicht mehr, so soll Vater Aristoteles zeugen, "die "Grösse des lebendigen Geschöpfs darf nur "mit Einem Blick übersehen werden können" -- und hier -- Himmel! wie wird das Ganze der Begebenheit mit tiefster Seele fortgefühlt und geendet! -- Eine Welt dramatischer Geschichte, so groß und tief wie die Natur; aber der Schöpfer giebt uns Auge und Ge- sichtspunkt, so groß und tief zu sehen!
Jn Othello, dem Mohren, welche Welt! welch ein Ganzes! lebendige Geschichte der Entstehung, Fortgangs, Ausbruchs, traurigen Endes der Leidenschaft die- ses Edlen Unglückseligen! und in welcher Fülle, und Zusammenlauf der Räder zu Einem Werke! Wie dieser Jago, der Teu- fel in Menschengestalt, die Welt ansehn, und mit allen, die um ihn sind, spielen! und wie nun die Gruppe ein Cassio und Rodrich, Othello und Desdemone in den Charakteren, mit dem Zunder von Empfänglichkeiten seiner Höllenflamme, um ihn stehen muß, und jedes
ihm
kein dramatiſcher Dichter? Der hundert Auf- tritte einer Weltbegebenheit mit dem Arm umfaßt, mit dem Blick ordnet, mit der Ei- nen durchhauchenden, Alles belebenden Seele erfuͤllet, und nicht Aufmerkſamkeit; Herz, alle Leidenſchaften, die ganze Seele von An- fang bis zu Ende fortreißt — wenn nicht mehr, ſo ſoll Vater Ariſtoteles zeugen, „die „Groͤſſe des lebendigen Geſchoͤpfs darf nur „mit Einem Blick uͤberſehen werden koͤnnen„ — und hier — Himmel! wie wird das Ganze der Begebenheit mit tiefſter Seele fortgefuͤhlt und geendet! — Eine Welt dramatiſcher Geſchichte, ſo groß und tief wie die Natur; aber der Schoͤpfer giebt uns Auge und Ge- ſichtspunkt, ſo groß und tief zu ſehen!
Jn Othello, dem Mohren, welche Welt! welch ein Ganzes! lebendige Geſchichte der Entſtehung, Fortgangs, Ausbruchs, traurigen Endes der Leidenſchaft die- ſes Edlen Ungluͤckſeligen! und in welcher Fuͤlle, und Zuſammenlauf der Raͤder zu Einem Werke! Wie dieſer Jago, der Teu- fel in Menſchengeſtalt, die Welt anſehn, und mit allen, die um ihn ſind, ſpielen! und wie nun die Gruppe ein Caſſio und Rodrich, Othello und Desdemone in den Charakteren, mit dem Zunder von Empfaͤnglichkeiten ſeiner Hoͤllenflamme, um ihn ſtehen muß, und jedes
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kein dramatiſcher Dichter? Der hundert Auf-
tritte einer Weltbegebenheit mit dem Arm
umfaßt, mit dem Blick ordnet, mit der Ei-
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erfuͤllet, und nicht Aufmerkſamkeit; Herz,
alle Leidenſchaften, die ganze Seele von An-
fang bis zu Ende fortreißt — wenn nicht
mehr, ſo ſoll Vater Ariſtoteles zeugen, „die
„Groͤſſe des lebendigen Geſchoͤpfs darf nur
„mit Einem Blick uͤberſehen werden koͤnnen„ —
und hier — Himmel! wie wird das Ganze
der Begebenheit mit tiefſter Seele fortgefuͤhlt
und geendet! — Eine Welt dramatiſcher
Geſchichte, ſo groß und tief wie die Natur;
aber der Schoͤpfer giebt uns Auge und Ge-
ſichtspunkt, ſo groß und tief zu ſehen!
Jn Othello, dem Mohren, welche Welt!
welch ein Ganzes! lebendige Geſchichte
der Entſtehung, Fortgangs, Ausbruchs,
traurigen Endes der Leidenſchaft die-
ſes Edlen Ungluͤckſeligen! und in welcher
Fuͤlle, und Zuſammenlauf der Raͤder zu
Einem Werke! Wie dieſer Jago, der Teu-
fel in Menſchengeſtalt, die Welt anſehn, und
mit allen, die um ihn ſind, ſpielen! und wie
nun die Gruppe ein Caſſio und Rodrich,
Othello und Desdemone in den Charakteren,
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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/100>, abgerufen am 27.07.2024.
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