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Herder, Johann Gottfried von: Von der Ähnlichkeit der mittlern englischen und deutschen Dichtkunst. In: Deutsches Museum. Bd. 2, Stück 11 (1777), S. 421–435.

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Reste der walischen Poesie und ihre Geschichte es darstellt: so wissen wir, daß die Angelsachsen ursprünglich Deutsche waren, mithin der Stamm der Nazion an Sprache und Denkart deutsch ward. Ausser den Britten, mit denen sie sich mengten, kamen bald dänische Kolonien in Horden herüber; dieß waren nördlichere deutsche, noch desselben Völkerstammes. Späterhin kam der Ueberguß der Normänner, die ganz England umkehrten, und ihre nordische in Süden umgebildete Sitten ihm abermals aufdrangen; also kam nordische, deutsche Denkart in drey Völkern, Zeitläuften und Graden der Kultur herüber: ist nicht auch England recht ein Kernhalt nordischer Poesie und Sprache in dieser dreyfachen Mischung worden?

Ein Wink sogleich aus diesen frühen Zeiten für Deutschland! Der ungeheure Schaz der angelsächsischen Sprache in England ist also mit unser, und da die Angelsachsen bereits ein paar Jahrhunderte vor unserm angeblichen Sammler und Zerstörer der Bardengesänge, vor Karl dem Grossen, hinübergingen; wie? wäre Alles was dort ist, nur Pfaffenzeug? in dem grossen, noch ungenuzten Vorrath keine weitere Fragmente, Wegweiser, Winke? endlich auch ohne dergleichen, wie wär' uns Deutschen das Studium dieser Sprache, Poesie und Litteratur nüzlich! -

Hiezu aber, wo sind äussere Anmunterungen und Gelegenheiten? Wie weit stehen wir, in Anlässen der Art, den Engländern nach! Unsre Parker, Selden, Spelmann, Whelok, Hickes, wo sind sie? wo sind sie izo? Stußens Plan zur wohlfeilern Ausgabe der Angelsachsen kam nicht zu Stande: Lindenbrogs angelsächsisches Glossarium liegt ungedruckt und wie viel haben wir Deutsche noch am Stamm unsrer eignen Sprache zu thun, ehe wir unsre Nebensprößlinge pflegen und darauf das Unsere suchen. Wie manches liegt noch in der kaiserl. Bibliothek, das man kaum dem Titel nach kennet! und wie manche Zeit dürfte noch hingehn, ehe es uns im Mindsten zu Statten kommt, daß deutsches Blut auf so viel europäischen Thronen herrschet!

Reste der walischen Poesie und ihre Geschichte es darstellt: so wissen wir, daß die Angelsachsen ursprünglich Deutsche waren, mithin der Stamm der Nazion an Sprache und Denkart deutsch ward. Ausser den Britten, mit denen sie sich mengten, kamen bald dänische Kolonien in Horden herüber; dieß waren nördlichere deutsche, noch desselben Völkerstammes. Späterhin kam der Ueberguß der Normänner, die ganz England umkehrten, und ihre nordische in Süden umgebildete Sitten ihm abermals aufdrangen; also kam nordische, deutsche Denkart in drey Völkern, Zeitläuften und Graden der Kultur herüber: ist nicht auch England recht ein Kernhalt nordischer Poesie und Sprache in dieser dreyfachen Mischung worden?

Ein Wink sogleich aus diesen frühen Zeiten für Deutschland! Der ungeheure Schaz der angelsächsischen Sprache in England ist also mit unser, und da die Angelsachsen bereits ein paar Jahrhunderte vor unserm angeblichen Sammler und Zerstörer der Bardengesänge, vor Karl dem Grossen, hinübergingen; wie? wäre Alles was dort ist, nur Pfaffenzeug? in dem grossen, noch ungenuzten Vorrath keine weitere Fragmente, Wegweiser, Winke? endlich auch ohne dergleichen, wie wär' uns Deutschen das Studium dieser Sprache, Poesie und Litteratur nüzlich! –

Hiezu aber, wo sind äussere Anmunterungen und Gelegenheiten? Wie weit stehen wir, in Anlässen der Art, den Engländern nach! Unsre Parker, Selden, Spelmann, Whelok, Hickes, wo sind sie? wo sind sie izo? Stußens Plan zur wohlfeilern Ausgabe der Angelsachsen kam nicht zu Stande: Lindenbrogs angelsächsisches Glossarium liegt ungedruckt und wie viel haben wir Deutsche noch am Stamm unsrer eignen Sprache zu thun, ehe wir unsre Nebensprößlinge pflegen und darauf das Unsere suchen. Wie manches liegt noch in der kaiserl. Bibliothek, das man kaum dem Titel nach kennet! und wie manche Zeit dürfte noch hingehn, ehe es uns im Mindsten zu Statten kommt, daß deutsches Blut auf so viel europäischen Thronen herrschet!

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[422/0003] Reste der walischen Poesie und ihre Geschichte es darstellt: so wissen wir, daß die Angelsachsen ursprünglich Deutsche waren, mithin der Stamm der Nazion an Sprache und Denkart deutsch ward. Ausser den Britten, mit denen sie sich mengten, kamen bald dänische Kolonien in Horden herüber; dieß waren nördlichere deutsche, noch desselben Völkerstammes. Späterhin kam der Ueberguß der Normänner, die ganz England umkehrten, und ihre nordische in Süden umgebildete Sitten ihm abermals aufdrangen; also kam nordische, deutsche Denkart in drey Völkern, Zeitläuften und Graden der Kultur herüber: ist nicht auch England recht ein Kernhalt nordischer Poesie und Sprache in dieser dreyfachen Mischung worden? Ein Wink sogleich aus diesen frühen Zeiten für Deutschland! Der ungeheure Schaz der angelsächsischen Sprache in England ist also mit unser, und da die Angelsachsen bereits ein paar Jahrhunderte vor unserm angeblichen Sammler und Zerstörer der Bardengesänge, vor Karl dem Grossen, hinübergingen; wie? wäre Alles was dort ist, nur Pfaffenzeug? in dem grossen, noch ungenuzten Vorrath keine weitere Fragmente, Wegweiser, Winke? endlich auch ohne dergleichen, wie wär' uns Deutschen das Studium dieser Sprache, Poesie und Litteratur nüzlich! – Hiezu aber, wo sind äussere Anmunterungen und Gelegenheiten? Wie weit stehen wir, in Anlässen der Art, den Engländern nach! Unsre Parker, Selden, Spelmann, Whelok, Hickes, wo sind sie? wo sind sie izo? Stußens Plan zur wohlfeilern Ausgabe der Angelsachsen kam nicht zu Stande: Lindenbrogs angelsächsisches Glossarium liegt ungedruckt und wie viel haben wir Deutsche noch am Stamm unsrer eignen Sprache zu thun, ehe wir unsre Nebensprößlinge pflegen und darauf das Unsere suchen. Wie manches liegt noch in der kaiserl. Bibliothek, das man kaum dem Titel nach kennet! und wie manche Zeit dürfte noch hingehn, ehe es uns im Mindsten zu Statten kommt, daß deutsches Blut auf so viel europäischen Thronen herrschet!

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von der Ähnlichkeit der mittlern englischen und deutschen Dichtkunst. In: Deutsches Museum. Bd. 2, Stück 11 (1777), S. 421–435, hier S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_aehnlichkeit_1777/3>, abgerufen am 21.11.2024.