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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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daß er ein unnatürlicher Fall sei, -- wohl! so be-
stätigt er die Natur!

Die ganze Rousseausche Hypothese von Un-
gleichheit der Menschen ist, bekannter Weise, auf
solche Fälle der Abartung gebauet, und seine Zwei-
fel gegen die Menschlichkeit der Sprache betreffen
entweder falsche Ursprungsarten, oder die beregte
Schwürigkeit, daß schon Vernunft zur Spracher-
findung gehört hätte. Jm ersten Fall haben sie
recht; im zweiten sind sie wiederlegt, und lassen sich
ja aus Rousseaus Munde selbst wiederlegen. Sein
Phantom, der Naturmensch; dieses entartete Ge-
schöpf, das er auf der einen Seite mit der Ver-
nunftfähigkeit abspeiset, wird auf der andern mit
der Perfectibilität und zwar mit ihr als Charak-
tereigenschaft, und zwar mit ihr in so hohem Gra-
de belehnet, daß er dadurch von allen Thiergat-
tungen lernen könne -- und was hat nun Rous-
seau
ihm nicht zugestanden! Mehr, als wir
wollen, und brauchen! Der erste Gedanke "siehe!
"das ist dem Thier eigen! der Wolf heult! der
"Bär brummt! schon der ist (in einem solchen

Lichte

daß er ein unnatuͤrlicher Fall ſei, — wohl! ſo be-
ſtaͤtigt er die Natur!

Die ganze Rouſſeauſche Hypotheſe von Un-
gleichheit der Menſchen iſt, bekannter Weiſe, auf
ſolche Faͤlle der Abartung gebauet, und ſeine Zwei-
fel gegen die Menſchlichkeit der Sprache betreffen
entweder falſche Urſprungsarten, oder die beregte
Schwuͤrigkeit, daß ſchon Vernunft zur Spracher-
findung gehoͤrt haͤtte. Jm erſten Fall haben ſie
recht; im zweiten ſind ſie wiederlegt, und laſſen ſich
ja aus Rouſſeaus Munde ſelbſt wiederlegen. Sein
Phantom, der Naturmenſch; dieſes entartete Ge-
ſchoͤpf, das er auf der einen Seite mit der Ver-
nunftfaͤhigkeit abſpeiſet, wird auf der andern mit
der Perfectibilitaͤt und zwar mit ihr als Charak-
tereigenſchaft, und zwar mit ihr in ſo hohem Gra-
de belehnet, daß er dadurch von allen Thiergat-
tungen lernen koͤnne — und was hat nun Rouſ-
ſeau
ihm nicht zugeſtanden! Mehr, als wir
wollen, und brauchen! Der erſte Gedanke „ſiehe!
„das iſt dem Thier eigen! der Wolf heult! der
„Baͤr brummt! ſchon der iſt (in einem ſolchen

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[68/0074] daß er ein unnatuͤrlicher Fall ſei, — wohl! ſo be- ſtaͤtigt er die Natur! Die ganze Rouſſeauſche Hypotheſe von Un- gleichheit der Menſchen iſt, bekannter Weiſe, auf ſolche Faͤlle der Abartung gebauet, und ſeine Zwei- fel gegen die Menſchlichkeit der Sprache betreffen entweder falſche Urſprungsarten, oder die beregte Schwuͤrigkeit, daß ſchon Vernunft zur Spracher- findung gehoͤrt haͤtte. Jm erſten Fall haben ſie recht; im zweiten ſind ſie wiederlegt, und laſſen ſich ja aus Rouſſeaus Munde ſelbſt wiederlegen. Sein Phantom, der Naturmenſch; dieſes entartete Ge- ſchoͤpf, das er auf der einen Seite mit der Ver- nunftfaͤhigkeit abſpeiſet, wird auf der andern mit der Perfectibilitaͤt und zwar mit ihr als Charak- tereigenſchaft, und zwar mit ihr in ſo hohem Gra- de belehnet, daß er dadurch von allen Thiergat- tungen lernen koͤnne — und was hat nun Rouſ- ſeau ihm nicht zugeſtanden! Mehr, als wir wollen, und brauchen! Der erſte Gedanke „ſiehe! „das iſt dem Thier eigen! der Wolf heult! der „Baͤr brummt! ſchon der iſt (in einem ſolchen Lichte

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/74>, abgerufen am 22.11.2024.