etwas mehr bestimmt, selbst der stärkste Beweis gegen ihn werde, und daß er also unwissend in seinem Buche selbst Materialien zu seiner Wieder- legung zusammengetragen. Er würde sich nicht "hinter das Wort "Vernunftfähigkeit, die aber "noch nicht im mindsten Vernunft ist" verstecken: denn man kehre wie man wolle, so werden Wieder- sprüche! Ein vernünftiges Geschöpf ohne den mind- sten Gebrauch der Vernunft; oder ein vernunft- gebrauchendes Geschöpf ohne Sprache! Ein ver- nunftloses Geschöpf, dem Unterricht Vernunft ge- ben kann; oder ein unterrichtfähiges Geschöpf, was doch ohne Vernunft ist! Ein Wesen ohne den mindsten Gebrauch der Vernunft; -- und doch Mensch! Ein Wesen, das seine Vernunft aus na- türlichen Kräften nicht brauchen konnte, und doch beim übernatürlichen Unterricht natürlich brauchen lernte! Eine menschliche Sprache, die gar nicht menschlich war, d. i. die durch keine menschliche Kraft entstehen konnte; und eine Sprache, die doch so menschlich ist, daß sich ohne sie keine seiner eigentlichen Kräfte äußern kann! Ein Ding, ohne das er nicht Mensch war, und doch ein Zustand,
da
etwas mehr beſtimmt, ſelbſt der ſtaͤrkſte Beweis gegen ihn werde, und daß er alſo unwiſſend in ſeinem Buche ſelbſt Materialien zu ſeiner Wieder- legung zuſammengetragen. Er wuͤrde ſich nicht „hinter das Wort „Vernunftfaͤhigkeit, die aber „noch nicht im mindſten Vernunft iſt„ verſtecken: denn man kehre wie man wolle, ſo werden Wieder- ſpruͤche! Ein vernuͤnftiges Geſchoͤpf ohne den mind- ſten Gebrauch der Vernunft; oder ein vernunft- gebrauchendes Geſchoͤpf ohne Sprache! Ein ver- nunftloſes Geſchoͤpf, dem Unterricht Vernunft ge- ben kann; oder ein unterrichtfaͤhiges Geſchoͤpf, was doch ohne Vernunft iſt! Ein Weſen ohne den mindſten Gebrauch der Vernunft; — und doch Menſch! Ein Weſen, das ſeine Vernunft aus na- tuͤrlichen Kraͤften nicht brauchen konnte, und doch beim uͤbernatuͤrlichen Unterricht natuͤrlich brauchen lernte! Eine menſchliche Sprache, die gar nicht menſchlich war, d. i. die durch keine menſchliche Kraft entſtehen konnte; und eine Sprache, die doch ſo menſchlich iſt, daß ſich ohne ſie keine ſeiner eigentlichen Kraͤfte aͤußern kann! Ein Ding, ohne das er nicht Menſch war, und doch ein Zuſtand,
da
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0070"n="64"/>
etwas mehr beſtimmt, ſelbſt der ſtaͤrkſte Beweis<lb/>
gegen ihn werde, und daß er alſo unwiſſend in<lb/>ſeinem Buche ſelbſt Materialien zu ſeiner Wieder-<lb/>
legung zuſammengetragen. Er wuͤrde ſich nicht<lb/>„hinter das Wort „Vernunftfaͤhigkeit, die aber<lb/>„noch nicht im mindſten Vernunft iſt„ verſtecken:<lb/>
denn man kehre wie man wolle, ſo werden Wieder-<lb/>ſpruͤche! Ein vernuͤnftiges Geſchoͤpf ohne den mind-<lb/>ſten Gebrauch der Vernunft; oder ein vernunft-<lb/>
gebrauchendes Geſchoͤpf ohne Sprache! Ein ver-<lb/>
nunftloſes Geſchoͤpf, dem Unterricht Vernunft ge-<lb/>
ben kann; oder ein unterrichtfaͤhiges Geſchoͤpf, was<lb/>
doch ohne Vernunft iſt! Ein Weſen ohne den<lb/>
mindſten Gebrauch der Vernunft; — und doch<lb/>
Menſch! Ein Weſen, das ſeine Vernunft aus na-<lb/>
tuͤrlichen Kraͤften nicht brauchen konnte, und doch<lb/>
beim uͤbernatuͤrlichen Unterricht natuͤrlich brauchen<lb/>
lernte! Eine menſchliche Sprache, die gar nicht<lb/>
menſchlich war, d. i. die durch keine menſchliche<lb/>
Kraft entſtehen konnte; und eine Sprache, die<lb/>
doch ſo menſchlich iſt, daß ſich ohne ſie keine ſeiner<lb/>
eigentlichen Kraͤfte aͤußern kann! Ein Ding, ohne<lb/>
das er nicht Menſch war, und doch ein Zuſtand,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">da</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[64/0070]
etwas mehr beſtimmt, ſelbſt der ſtaͤrkſte Beweis
gegen ihn werde, und daß er alſo unwiſſend in
ſeinem Buche ſelbſt Materialien zu ſeiner Wieder-
legung zuſammengetragen. Er wuͤrde ſich nicht
„hinter das Wort „Vernunftfaͤhigkeit, die aber
„noch nicht im mindſten Vernunft iſt„ verſtecken:
denn man kehre wie man wolle, ſo werden Wieder-
ſpruͤche! Ein vernuͤnftiges Geſchoͤpf ohne den mind-
ſten Gebrauch der Vernunft; oder ein vernunft-
gebrauchendes Geſchoͤpf ohne Sprache! Ein ver-
nunftloſes Geſchoͤpf, dem Unterricht Vernunft ge-
ben kann; oder ein unterrichtfaͤhiges Geſchoͤpf, was
doch ohne Vernunft iſt! Ein Weſen ohne den
mindſten Gebrauch der Vernunft; — und doch
Menſch! Ein Weſen, das ſeine Vernunft aus na-
tuͤrlichen Kraͤften nicht brauchen konnte, und doch
beim uͤbernatuͤrlichen Unterricht natuͤrlich brauchen
lernte! Eine menſchliche Sprache, die gar nicht
menſchlich war, d. i. die durch keine menſchliche
Kraft entſtehen konnte; und eine Sprache, die
doch ſo menſchlich iſt, daß ſich ohne ſie keine ſeiner
eigentlichen Kraͤfte aͤußern kann! Ein Ding, ohne
das er nicht Menſch war, und doch ein Zuſtand,
da
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/70>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.