erweisende Satz von Hr. S. nur erläutert; da ich erwiesen zu haben glaube, daß selbst die erste, niedrigste Anwendung der Vernunft nicht ohne Sprache geschehen konnte. Allein wenn er nun folgert: Kein Mensch kann sich selbst Sprache erfunden haben, weil schon zur Erfindung der Sprache Vernunft gehöret, folglich schon Sprache hätte da seyn müssen, ehe sie da war: so halte ich den ewigen Kreisel an, besehe ihn recht, und nun sagt er ganz was anders: Ratio et Oratio! Wenn keine Vernunft dem Menschen ohne Sprache mög- lich war: wohl! so ist die Erfindung dieser dem Menschen so natürlich, so alt, so ursprünglich, so charakteristisch, als der Gebrauch jener.
Jch habe Süßmilchs Schlußart einen ewi- gen Kreisel genannt: denn ich kann ihn ja eben sowohl gegen ihn, als er gegen mich drehen: und das Ding kreiselt immer fort. Ohne Sprache hat der Mensch keine Vernunft, und ohne Vernunft keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft ist er keines göttlichen Unterrichts fähig: und ohne göttlichen Unterricht hat er doch keine Vernunft und Sprache -- wo kommen wir da je hin? Wie
kann
erweiſende Satz von Hr. S. nur erlaͤutert; da ich erwieſen zu haben glaube, daß ſelbſt die erſte, niedrigſte Anwendung der Vernunft nicht ohne Sprache geſchehen konnte. Allein wenn er nun folgert: Kein Menſch kann ſich ſelbſt Sprache erfunden haben, weil ſchon zur Erfindung der Sprache Vernunft gehoͤret, folglich ſchon Sprache haͤtte da ſeyn muͤſſen, ehe ſie da war: ſo halte ich den ewigen Kreiſel an, beſehe ihn recht, und nun ſagt er ganz was anders: Ratio et Oratio! Wenn keine Vernunft dem Menſchen ohne Sprache moͤg- lich war: wohl! ſo iſt die Erfindung dieſer dem Menſchen ſo natuͤrlich, ſo alt, ſo urſpruͤnglich, ſo charakteriſtiſch, als der Gebrauch jener.
Jch habe Suͤßmilchs Schlußart einen ewi- gen Kreiſel genannt: denn ich kann ihn ja eben ſowohl gegen ihn, als er gegen mich drehen: und das Ding kreiſelt immer fort. Ohne Sprache hat der Menſch keine Vernunft, und ohne Vernunft keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft iſt er keines goͤttlichen Unterrichts faͤhig: und ohne goͤttlichen Unterricht hat er doch keine Vernunft und Sprache — wo kommen wir da je hin? Wie
kann
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erweiſende Satz von Hr. S. nur erlaͤutert; da
ich erwieſen zu haben glaube, daß ſelbſt die
erſte, niedrigſte Anwendung der Vernunft nicht
ohne Sprache geſchehen konnte. Allein wenn er
nun folgert: Kein Menſch kann ſich ſelbſt Sprache
erfunden haben, weil ſchon zur Erfindung der
Sprache Vernunft gehoͤret, folglich ſchon Sprache
haͤtte da ſeyn muͤſſen, ehe ſie da war: ſo halte ich
den ewigen Kreiſel an, beſehe ihn recht, und nun
ſagt er ganz was anders: Ratio et Oratio! Wenn
keine Vernunft dem Menſchen ohne Sprache moͤg-
lich war: wohl! ſo iſt die Erfindung dieſer dem
Menſchen ſo natuͤrlich, ſo alt, ſo urſpruͤnglich, ſo
charakteriſtiſch, als der Gebrauch jener.
Jch habe Suͤßmilchs Schlußart einen ewi-
gen Kreiſel genannt: denn ich kann ihn ja eben
ſowohl gegen ihn, als er gegen mich drehen: und
das Ding kreiſelt immer fort. Ohne Sprache hat
der Menſch keine Vernunft, und ohne Vernunft
keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft
iſt er keines goͤttlichen Unterrichts faͤhig: und ohne
goͤttlichen Unterricht hat er doch keine Vernunft
und Sprache — wo kommen wir da je hin? Wie
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/67>, abgerufen am 22.07.2024.
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