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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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lich und dreimal glücklich, daß er von diesem ermat-
tenden Wust von Vernünfteleien noch nichts wüste!
Aber siehet man denn nicht, daß dieser Einwurf
blos einen so und nicht anders, einen mehr oder
minder gebildeten Gebrauch
der Seelenkräfte,
und durchaus kein Positives einer Seelenkraft selbst
läugne? Und welcher Thor wird da behaupten,
daß der Mensch im ersten Augenblick des Lebens
so denke, wie nach einer vieljährigen Uebung; es
sei denn daß man zugleich das Wachsthum aller
Seelenkräfte läugne, und sich eben damit selbst für
einen Unmündigen bekenne? -- So wie doch aber
dies Wachsthum in der Welt nichts bedeuten kann,
als einen leichtern, stärkern, vielfachern Gebrauch;
muß denn das nicht schon da seyn, was gebraucht
werden?
Muß es nicht schon Keim seyn, was
da wachsen soll? Und ist also nicht im Keime
der ganze Baum enthalten. So wenig das Kind
Klauen, wie ein Greif, und eine Löwenmähne
hat: so wenig kann es wie Greif und Löwe den-
ken; denkt es aber menschlich, so ist Besonnenheit
das ist, die Mäßigung aller seiner Kräfte auf
diese Hauptrichtung
schon so im ersten Augen-

blicke

lich und dreimal gluͤcklich, daß er von dieſem ermat-
tenden Wuſt von Vernuͤnfteleien noch nichts wuͤſte!
Aber ſiehet man denn nicht, daß dieſer Einwurf
blos einen ſo und nicht anders, einen mehr oder
minder gebildeten Gebrauch
der Seelenkraͤfte,
und durchaus kein Poſitives einer Seelenkraft ſelbſt
laͤugne? Und welcher Thor wird da behaupten,
daß der Menſch im erſten Augenblick des Lebens
ſo denke, wie nach einer vieljaͤhrigen Uebung; es
ſei denn daß man zugleich das Wachsthum aller
Seelenkraͤfte laͤugne, und ſich eben damit ſelbſt fuͤr
einen Unmuͤndigen bekenne? — So wie doch aber
dies Wachsthum in der Welt nichts bedeuten kann,
als einen leichtern, ſtaͤrkern, vielfachern Gebrauch;
muß denn das nicht ſchon da ſeyn, was gebraucht
werden?
Muß es nicht ſchon Keim ſeyn, was
da wachſen ſoll? Und iſt alſo nicht im Keime
der ganze Baum enthalten. So wenig das Kind
Klauen, wie ein Greif, und eine Loͤwenmaͤhne
hat: ſo wenig kann es wie Greif und Loͤwe den-
ken; denkt es aber menſchlich, ſo iſt Beſonnenheit
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ſchon ſo im erſten Augen-

blicke
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[48/0054] lich und dreimal gluͤcklich, daß er von dieſem ermat- tenden Wuſt von Vernuͤnfteleien noch nichts wuͤſte! Aber ſiehet man denn nicht, daß dieſer Einwurf blos einen ſo und nicht anders, einen mehr oder minder gebildeten Gebrauch der Seelenkraͤfte, und durchaus kein Poſitives einer Seelenkraft ſelbſt laͤugne? Und welcher Thor wird da behaupten, daß der Menſch im erſten Augenblick des Lebens ſo denke, wie nach einer vieljaͤhrigen Uebung; es ſei denn daß man zugleich das Wachsthum aller Seelenkraͤfte laͤugne, und ſich eben damit ſelbſt fuͤr einen Unmuͤndigen bekenne? — So wie doch aber dies Wachsthum in der Welt nichts bedeuten kann, als einen leichtern, ſtaͤrkern, vielfachern Gebrauch; muß denn das nicht ſchon da ſeyn, was gebraucht werden? Muß es nicht ſchon Keim ſeyn, was da wachſen ſoll? Und iſt alſo nicht im Keime der ganze Baum enthalten. So wenig das Kind Klauen, wie ein Greif, und eine Loͤwenmaͤhne hat: ſo wenig kann es wie Greif und Loͤwe den- ken; denkt es aber menſchlich, ſo iſt Beſonnenheit das iſt, die Maͤßigung aller ſeiner Kraͤfte auf dieſe Hauptrichtung ſchon ſo im erſten Augen- blicke

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/54>, abgerufen am 22.11.2024.