dünkt, es lohnt nicht, den Faden unsres Erklärers weiter zu verfolgen, da er doch -- an nichts ge- knüpft ist.
Condillac, weiß man, gab durch seine hole Erklärung von Entstehung der Sprache Gelegen- heit, daß Rousseau*) in unserm Jahrhundert die Frage nach seiner Art in Schwung brachte, das ist bezweiffelte. Gegen Condillacs Erklärung Zweifel zu finden, war eben kein Rousseau nö- thig; nur aber deswegen sogleich alle menschliche Möglichkeit der Spracherfindung zu leugnen -- da- zu gehörte freilich etwas Rousseauscher Schwung oder Sprung, wie mans nennen will. Weil Con- dillac die Sache schlecht erklärt hatte; ob sie also auch gar nicht erklärt werden könne? Weil aus Schällen der Empfindung nimmermehr eine mensch- liche Sprache wird, folgt daraus, daß sie nirgend anderswoher hat werden können?
Daß es nur würklich dieser verdekte Trugschluß sey, der Rousseau verführet, zeigt offenbar sein eigner Plan: **) "wie, wenn doch allenfalls
"Spra-
*)Sur l'inegalite parmi les hommes &c. Part. 1.
**) Eben daselbst.
duͤnkt, es lohnt nicht, den Faden unſres Erklaͤrers weiter zu verfolgen, da er doch — an nichts ge- knuͤpft iſt.
Condillac, weiß man, gab durch ſeine hole Erklaͤrung von Entſtehung der Sprache Gelegen- heit, daß Rouſſeau*) in unſerm Jahrhundert die Frage nach ſeiner Art in Schwung brachte, das iſt bezweiffelte. Gegen Condillacs Erklaͤrung Zweifel zu finden, war eben kein Rouſſeau noͤ- thig; nur aber deswegen ſogleich alle menſchliche Moͤglichkeit der Spracherfindung zu leugnen — da- zu gehoͤrte freilich etwas Rouſſeauſcher Schwung oder Sprung, wie mans nennen will. Weil Con- dillac die Sache ſchlecht erklaͤrt hatte; ob ſie alſo auch gar nicht erklaͤrt werden koͤnne? Weil aus Schaͤllen der Empfindung nimmermehr eine menſch- liche Sprache wird, folgt daraus, daß ſie nirgend anderswoher hat werden koͤnnen?
Daß es nur wuͤrklich dieſer verdekte Trugſchluß ſey, der Rouſſeau verfuͤhret, zeigt offenbar ſein eigner Plan: **) „wie, wenn doch allenfalls
„Spra-
*)Sur l’inégalité parmi les hommes &c. Part. 1.
**) Eben daſelbſt.
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duͤnkt, es lohnt nicht, den Faden unſres Erklaͤrers
weiter zu verfolgen, da er doch — an nichts ge-
knuͤpft iſt.
Condillac, weiß man, gab durch ſeine hole
Erklaͤrung von Entſtehung der Sprache Gelegen-
heit, daß Rouſſeau *) in unſerm Jahrhundert
die Frage nach ſeiner Art in Schwung brachte, das
iſt bezweiffelte. Gegen Condillacs Erklaͤrung
Zweifel zu finden, war eben kein Rouſſeau noͤ-
thig; nur aber deswegen ſogleich alle menſchliche
Moͤglichkeit der Spracherfindung zu leugnen — da-
zu gehoͤrte freilich etwas Rouſſeauſcher Schwung
oder Sprung, wie mans nennen will. Weil Con-
dillac die Sache ſchlecht erklaͤrt hatte; ob ſie alſo
auch gar nicht erklaͤrt werden koͤnne? Weil aus
Schaͤllen der Empfindung nimmermehr eine menſch-
liche Sprache wird, folgt daraus, daß ſie nirgend
anderswoher hat werden koͤnnen?
Daß es nur wuͤrklich dieſer verdekte Trugſchluß
ſey, der Rouſſeau verfuͤhret, zeigt offenbar ſein
eigner Plan: **) „wie, wenn doch allenfalls
„Spra-
*) Sur l’inégalité parmi les hommes &c. Part. 1.
**) Eben daſelbſt.
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/34>, abgerufen am 16.02.2025.
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