Wie würde er sich freuen, wenn er mit dieser Abhandlung eine Hypothese verdränge, die von allen Seiten betrachtet, dem menschlichen Geist nur zum Nebel und zur Unehre ist, und es zu lange dazu gewesen! Er hat eben deßwegen das Gebot der Akademie übertreten und keine Hypo- these geliefert: denn was wär's, wenn eine Hypothese die andre auf- oder gleich wäge? und wie pflegt man, was die Form einer Hypothese hat, zu betrachten, als wie philosophischen Ro- man, Rousseaus, Condillacs und andrer? Er befließ sich lieber, "veste Data aus der mensch- "lichen Seele, der menschlichen Organisation, "dem Bau aller alten und wilden Sprachen "und der ganzen Haushaltung des menschli- "chen Geschlechts zu sammlen," und seinen Satz so zu beweisen, wie die vesteste philosophi- sche Wahrheit bewiesen werden kann. Er glaubt also mit seinem Ungehorsam den Willen der Aka- demie eher erreicht zu haben, als er sich sonst er- reichen ließ -- -- --
Wie wuͤrde er ſich freuen, wenn er mit dieſer Abhandlung eine Hypotheſe verdraͤnge, die von allen Seiten betrachtet, dem menſchlichen Geiſt nur zum Nebel und zur Unehre iſt, und es zu lange dazu geweſen! Er hat eben deßwegen das Gebot der Akademie uͤbertreten und keine Hypo- theſe geliefert: denn was waͤr’s, wenn eine Hypotheſe die andre auf- oder gleich waͤge? und wie pflegt man, was die Form einer Hypotheſe hat, zu betrachten, als wie philoſophiſchen Ro- man, Rouſſeaus, Condillacs und andrer? Er befließ ſich lieber, „veſte Data aus der menſch- „lichen Seele, der menſchlichen Organiſation, „dem Bau aller alten und wilden Sprachen „und der ganzen Haushaltung des menſchli- „chen Geſchlechts zu ſammlen,„ und ſeinen Satz ſo zu beweiſen, wie die veſteſte philoſophi- ſche Wahrheit bewieſen werden kann. Er glaubt alſo mit ſeinem Ungehorſam den Willen der Aka- demie eher erreicht zu haben, als er ſich ſonſt er- reichen ließ — — —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0228"n="222"/><p>Wie wuͤrde er ſich freuen, wenn er mit dieſer<lb/>
Abhandlung eine Hypotheſe verdraͤnge, die von<lb/>
allen Seiten betrachtet, dem menſchlichen Geiſt<lb/>
nur zum Nebel und zur Unehre iſt, und es zu<lb/>
lange dazu geweſen! Er hat eben deßwegen das<lb/>
Gebot der Akademie uͤbertreten und <hirendition="#fr">keine Hypo-<lb/>
theſe geliefert:</hi> denn was waͤr’s, wenn eine<lb/>
Hypotheſe die andre auf- oder gleich waͤge? und<lb/>
wie pflegt man, was die Form einer Hypotheſe<lb/>
hat, zu betrachten, als wie philoſophiſchen Ro-<lb/>
man, <hirendition="#fr">Rouſſeaus, Condillacs</hi> und andrer? Er<lb/>
befließ ſich lieber, „<hirendition="#fr">veſte Data aus der menſch-<lb/>„lichen Seele, der menſchlichen Organiſation,<lb/>„dem Bau aller alten und wilden Sprachen</hi><lb/>„und <hirendition="#fr">der ganzen Haushaltung des menſchli-<lb/>„chen Geſchlechts</hi> zu <hirendition="#fr">ſammlen,</hi>„ und ſeinen<lb/>
Satz ſo zu <hirendition="#fr">beweiſen,</hi> wie die veſteſte <hirendition="#fr">philoſophi-<lb/>ſche Wahrheit</hi> bewieſen werden kann. Er glaubt<lb/>
alſo mit ſeinem Ungehorſam den Willen der Aka-<lb/>
demie eher erreicht zu haben, als er ſich ſonſt er-<lb/>
reichen ließ ———</p></div></div><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lb/></body><back></back></text></TEI>
[222/0228]
Wie wuͤrde er ſich freuen, wenn er mit dieſer
Abhandlung eine Hypotheſe verdraͤnge, die von
allen Seiten betrachtet, dem menſchlichen Geiſt
nur zum Nebel und zur Unehre iſt, und es zu
lange dazu geweſen! Er hat eben deßwegen das
Gebot der Akademie uͤbertreten und keine Hypo-
theſe geliefert: denn was waͤr’s, wenn eine
Hypotheſe die andre auf- oder gleich waͤge? und
wie pflegt man, was die Form einer Hypotheſe
hat, zu betrachten, als wie philoſophiſchen Ro-
man, Rouſſeaus, Condillacs und andrer? Er
befließ ſich lieber, „veſte Data aus der menſch-
„lichen Seele, der menſchlichen Organiſation,
„dem Bau aller alten und wilden Sprachen
„und der ganzen Haushaltung des menſchli-
„chen Geſchlechts zu ſammlen,„ und ſeinen
Satz ſo zu beweiſen, wie die veſteſte philoſophi-
ſche Wahrheit bewieſen werden kann. Er glaubt
alſo mit ſeinem Ungehorſam den Willen der Aka-
demie eher erreicht zu haben, als er ſich ſonſt er-
reichen ließ — — —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/228>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.