und welch ein Schluß überhaupt ists: Diese große Brücke zwischen zwo Bergen begreife ich nicht ganz, wie sie gebauet sey -- folglich hat sie der Teufel gebauet! Es gehört ein großer Grad Kühn- heit oder Unwissenheit dazu, zu läugnen, daß sich nicht die Sprache mit dem menschlichen Geschlecht nach allen Stuffen und Veränderungen fortgebil- det: das zeigt Geschichte und Dichtkunst, Bered- samkeit und Grammatik, ja, wenn alles nicht, so Vernunft. Hat sie sich nun ewig so fortgebil- det und nie zu bilden angefangen? oder immer menschlich gebildet, so daß Vernunft nicht ohne sie, und sie ohne Vernunft nicht gehen konnte -- und mit Einmal ist ihr Anfang anders? und das so ohne Sinn und Grund anders, wie wir an- fangs gezeigt? Jn allen Fällen wird die Hypo- these eines göttlichen Ursprungs in der Sprache -- verstekter feiner Unsinn!
Jch wiederhole das mit Bedacht gesagte, harte Wort: Unsinn! und will mich zum Schluß erklären. Was heißt ein göttlicher Ursprung der Sprache als entweder: "Jch kann die Sprache "aus der menschlichen Natur nicht erklären: folg- "lich ist sie göttlich" -- Jst Sinn in dem Schlusse? Der Gegner sagt: "ich kann sie aus der mensch- "lichen Natur und aus ihr vollständig erklären" -- wer hat mehr gesagt? Jener verstekt sich hinter
eine
und welch ein Schluß uͤberhaupt iſts: Dieſe große Bruͤcke zwiſchen zwo Bergen begreife ich nicht ganz, wie ſie gebauet ſey — folglich hat ſie der Teufel gebauet! Es gehoͤrt ein großer Grad Kuͤhn- heit oder Unwiſſenheit dazu, zu laͤugnen, daß ſich nicht die Sprache mit dem menſchlichen Geſchlecht nach allen Stuffen und Veraͤnderungen fortgebil- det: das zeigt Geſchichte und Dichtkunſt, Bered- ſamkeit und Grammatik, ja, wenn alles nicht, ſo Vernunft. Hat ſie ſich nun ewig ſo fortgebil- det und nie zu bilden angefangen? oder immer menſchlich gebildet, ſo daß Vernunft nicht ohne ſie, und ſie ohne Vernunft nicht gehen konnte — und mit Einmal iſt ihr Anfang anders? und das ſo ohne Sinn und Grund anders, wie wir an- fangs gezeigt? Jn allen Faͤllen wird die Hypo- theſe eines goͤttlichen Urſprungs in der Sprache — verſtekter feiner Unſinn!
Jch wiederhole das mit Bedacht geſagte, harte Wort: Unſinn! und will mich zum Schluß erklaͤren. Was heißt ein goͤttlicher Urſprung der Sprache als entweder: „Jch kann die Sprache „aus der menſchlichen Natur nicht erklaͤren: folg- „lich iſt ſie goͤttlich„ — Jſt Sinn in dem Schluſſe? Der Gegner ſagt: „ich kann ſie aus der menſch- „lichen Natur und aus ihr vollſtaͤndig erklaͤren„ — wer hat mehr geſagt? Jener verſtekt ſich hinter
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und welch ein Schluß uͤberhaupt iſts: Dieſe große
Bruͤcke zwiſchen zwo Bergen begreife ich nicht
ganz, wie ſie gebauet ſey — folglich hat ſie der
Teufel gebauet! Es gehoͤrt ein großer Grad Kuͤhn-
heit oder Unwiſſenheit dazu, zu laͤugnen, daß ſich
nicht die Sprache mit dem menſchlichen Geſchlecht
nach allen Stuffen und Veraͤnderungen fortgebil-
det: das zeigt Geſchichte und Dichtkunſt, Bered-
ſamkeit und Grammatik, ja, wenn alles nicht,
ſo Vernunft. Hat ſie ſich nun ewig ſo fortgebil-
det und nie zu bilden angefangen? oder immer
menſchlich gebildet, ſo daß Vernunft nicht ohne
ſie, und ſie ohne Vernunft nicht gehen konnte —
und mit Einmal iſt ihr Anfang anders? und das
ſo ohne Sinn und Grund anders, wie wir an-
fangs gezeigt? Jn allen Faͤllen wird die Hypo-
theſe eines goͤttlichen Urſprungs in der Sprache —
verſtekter feiner Unſinn!
Jch wiederhole das mit Bedacht geſagte,
harte Wort: Unſinn! und will mich zum Schluß
erklaͤren. Was heißt ein goͤttlicher Urſprung der
Sprache als entweder: „Jch kann die Sprache
„aus der menſchlichen Natur nicht erklaͤren: folg-
„lich iſt ſie goͤttlich„ — Jſt Sinn in dem Schluſſe?
Der Gegner ſagt: „ich kann ſie aus der menſch-
„lichen Natur und aus ihr vollſtaͤndig erklaͤren„ —
wer hat mehr geſagt? Jener verſtekt ſich hinter
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/224>, abgerufen am 22.07.2024.
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