Viele haben sich mit den "Stammlisten die- "ser Sprachengeschlechter" versucht; ich versu- che es nicht -- denn wie viele, viele Nebenursa- chen konnten in dieser Abstammung, und in der Känntlichkeit dieser Abstammung Veränderungen machen, auf die der etymologisirende Philosoph nicht rechnen kann und die seinen Stammbaum trügen. Zudem sind unter den Reisebeschreibern und selbst Mißionarien so wenig wahre Sprach- philosophen gewesen, die uns von dem Genius und dem charakteristischen Grunde ihrer Völkersprachen hätten Nachricht geben können oder wollen, daß man im Allgemeinen hier noch in der Jrre gehet. Sie geben Verzeichnisse von Wörtern -- und aus dem Schällenkrame soll man schließen! Die Regeln der wahren Sprachdeduktion, sind auch so fein, daß wenige - - doch das ist alles nicht mein Werk! im Ganzen bleibt das Naturgesetz sichtbar: "Sprache pflanze und bilde sich mit dem menschlichen Geschlechte fort; in diesem Ge- setze zähle ich nur Hauptarten auf, die ver- schiedne Dimension geben.
I. Jeder Mensch hat freilich alle Fähigkeiten, die sein ganzes Geschlecht; und jede Nation die Fähigkeiten, die alle Nationen haben, es ist in- dessen doch wahr, daß eine Gesellschaft mehr
als
Viele haben ſich mit den „Stammliſten die- „ſer Sprachengeſchlechter„ verſucht; ich verſu- che es nicht — denn wie viele, viele Nebenurſa- chen konnten in dieſer Abſtammung, und in der Kaͤnntlichkeit dieſer Abſtammung Veraͤnderungen machen, auf die der etymologiſirende Philoſoph nicht rechnen kann und die ſeinen Stammbaum truͤgen. Zudem ſind unter den Reiſebeſchreibern und ſelbſt Mißionarien ſo wenig wahre Sprach- philoſophen geweſen, die uns von dem Genius und dem charakteriſtiſchen Grunde ihrer Voͤlkerſprachen haͤtten Nachricht geben koͤnnen oder wollen, daß man im Allgemeinen hier noch in der Jrre gehet. Sie geben Verzeichniſſe von Woͤrtern — und aus dem Schaͤllenkrame ſoll man ſchließen! Die Regeln der wahren Sprachdeduktion, ſind auch ſo fein, daß wenige ‒ ‒ doch das iſt alles nicht mein Werk! im Ganzen bleibt das Naturgeſetz ſichtbar: „Sprache pflanze und bilde ſich mit dem menſchlichen Geſchlechte fort; in dieſem Ge- ſetze zaͤhle ich nur Hauptarten auf, die ver- ſchiedne Dimenſion geben.
I. Jeder Menſch hat freilich alle Faͤhigkeiten, die ſein ganzes Geſchlecht; und jede Nation die Faͤhigkeiten, die alle Nationen haben, es iſt in- deſſen doch wahr, daß eine Geſellſchaft mehr
als
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Viele haben ſich mit den „Stammliſten die-
„ſer Sprachengeſchlechter„ verſucht; ich verſu-
che es nicht — denn wie viele, viele Nebenurſa-
chen konnten in dieſer Abſtammung, und in der
Kaͤnntlichkeit dieſer Abſtammung Veraͤnderungen
machen, auf die der etymologiſirende Philoſoph
nicht rechnen kann und die ſeinen Stammbaum
truͤgen. Zudem ſind unter den Reiſebeſchreibern
und ſelbſt Mißionarien ſo wenig wahre Sprach-
philoſophen geweſen, die uns von dem Genius und
dem charakteriſtiſchen Grunde ihrer Voͤlkerſprachen
haͤtten Nachricht geben koͤnnen oder wollen, daß
man im Allgemeinen hier noch in der Jrre gehet.
Sie geben Verzeichniſſe von Woͤrtern — und
aus dem Schaͤllenkrame ſoll man ſchließen! Die
Regeln der wahren Sprachdeduktion, ſind auch
ſo fein, daß wenige ‒ ‒ doch das iſt alles nicht mein
Werk! im Ganzen bleibt das Naturgeſetz ſichtbar:
„Sprache pflanze und bilde ſich mit dem
menſchlichen Geſchlechte fort; in dieſem Ge-
ſetze zaͤhle ich nur Hauptarten auf, die ver-
ſchiedne Dimenſion geben.
I. Jeder Menſch hat freilich alle Faͤhigkeiten,
die ſein ganzes Geſchlecht; und jede Nation die
Faͤhigkeiten, die alle Nationen haben, es iſt in-
deſſen doch wahr, daß eine Geſellſchaft mehr
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/218>, abgerufen am 16.02.2025.
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