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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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nur allmählig verändert haben. Man müßte die
Abändrung, den Fortzug, und die Verwand-
schaft der Völker im Verhältnisse fortgehen sehen,
und sich überall nach kleinen Nuancen von Denk-
und Mund- und Lebensart genaue Rechenschaft
geben können. Wer aber kann das? Findet man
nicht in demselben Clima, ja dicht an einander
in allen Welttheilen kleine Völker, die in einerlei
Kreise so verschiedne und entgegengesezte Sprachen
haben, daß alles ein Böhmischer Wald wird?
Wer Reisebeschreibungen von Nord- und Südame-
rica, von Africa und Asien gelesen, dem dörfen
nicht die Stämme dieses Waldes vorgerechnet wer-
den -- hier, schließen diese Zweifller, hört also
alle menschliche Untersuchung auf.

Und weil diese lezten blos zweifeln, so will ich
versuchen, zu zeigen, daß hier die Untersuchung
nicht aufhöre, sondern daß sich diese "Verschie-
"denheit dicht an einander
eben so natürlich er-
"klären lasse, als die Einheit der Familien-
"sprache
in Einer Nation."

Die Trennung der Familien in abgesonderte
Nationen geht gewiß nicht nach den langweiligen

Ver-

nur allmaͤhlig veraͤndert haben. Man muͤßte die
Abaͤndrung, den Fortzug, und die Verwand-
ſchaft der Voͤlker im Verhaͤltniſſe fortgehen ſehen,
und ſich uͤberall nach kleinen Nuancen von Denk-
und Mund- und Lebensart genaue Rechenſchaft
geben koͤnnen. Wer aber kann das? Findet man
nicht in demſelben Clima, ja dicht an einander
in allen Welttheilen kleine Voͤlker, die in einerlei
Kreiſe ſo verſchiedne und entgegengeſezte Sprachen
haben, daß alles ein Boͤhmiſcher Wald wird?
Wer Reiſebeſchreibungen von Nord- und Suͤdame-
rica, von Africa und Aſien geleſen, dem doͤrfen
nicht die Staͤmme dieſes Waldes vorgerechnet wer-
den — hier, ſchließen dieſe Zweifller, hoͤrt alſo
alle menſchliche Unterſuchung auf.

Und weil dieſe lezten blos zweifeln, ſo will ich
verſuchen, zu zeigen, daß hier die Unterſuchung
nicht aufhoͤre, ſondern daß ſich dieſe „Verſchie-
„denheit dicht an einander
eben ſo natuͤrlich er-
„klaͤren laſſe, als die Einheit der Familien-
„ſprache
in Einer Nation.„

Die Trennung der Familien in abgeſonderte
Nationen geht gewiß nicht nach den langweiligen

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[194/0200] nur allmaͤhlig veraͤndert haben. Man muͤßte die Abaͤndrung, den Fortzug, und die Verwand- ſchaft der Voͤlker im Verhaͤltniſſe fortgehen ſehen, und ſich uͤberall nach kleinen Nuancen von Denk- und Mund- und Lebensart genaue Rechenſchaft geben koͤnnen. Wer aber kann das? Findet man nicht in demſelben Clima, ja dicht an einander in allen Welttheilen kleine Voͤlker, die in einerlei Kreiſe ſo verſchiedne und entgegengeſezte Sprachen haben, daß alles ein Boͤhmiſcher Wald wird? Wer Reiſebeſchreibungen von Nord- und Suͤdame- rica, von Africa und Aſien geleſen, dem doͤrfen nicht die Staͤmme dieſes Waldes vorgerechnet wer- den — hier, ſchließen dieſe Zweifller, hoͤrt alſo alle menſchliche Unterſuchung auf. Und weil dieſe lezten blos zweifeln, ſo will ich verſuchen, zu zeigen, daß hier die Unterſuchung nicht aufhoͤre, ſondern daß ſich dieſe „Verſchie- „denheit dicht an einander eben ſo natuͤrlich er- „klaͤren laſſe, als die Einheit der Familien- „ſprache in Einer Nation.„ Die Trennung der Familien in abgeſonderte Nationen geht gewiß nicht nach den langweiligen Ver-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/200>, abgerufen am 22.11.2024.