die Sprache schon im Vater und in der Mutter gebildet, die sie die Kinder lehrten, aber dorfte deswegen schon die Sprache ganz gebildet seyn, auch selbst die, die sie sie nicht lehrten? Und konn- ten denn die Kinder in einer neuern, weitern, feinern Welt nichts mehr dazu erfinden? und ist denn eine zum Theil gebildete, sich weiter fort- bildende Sprache ein Wiederspruch? Wenn ist die Französische, durch Akademien und Autoren und Wörterbücher so gebildete Sprache, denn so zu Ende gebildet, daß sie sich nicht mit jedem neuen originalen Autor, ja mit jedem Kopfe, der neuen Ton in die Gesellschaft bringt, neu bilden, oder mißbilden müßte? -- Mit solchen Para- logismen sind die Verfechter der gegenseitigen Meinung behangen -- man urtheile, ob es lohne, sich auf jede Kleinigkeit ihrer Einwürfe einzulassen.
Ein andrer z. B. sagt: "wie doch die Men- "schen wohl je aus Nothdurft ihre Sprache hätten "fortbilden wollen, wenn sie Lukrezens Mutum et "turpe pecus gewesen wären?" und läßt sich auf eine Menge halbwahrer Jnstanzen der Wilden
ein.
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die Sprache ſchon im Vater und in der Mutter gebildet, die ſie die Kinder lehrten, aber dorfte deswegen ſchon die Sprache ganz gebildet ſeyn, auch ſelbſt die, die ſie ſie nicht lehrten? Und konn- ten denn die Kinder in einer neuern, weitern, feinern Welt nichts mehr dazu erfinden? und iſt denn eine zum Theil gebildete, ſich weiter fort- bildende Sprache ein Wiederſpruch? Wenn iſt die Franzoͤſiſche, durch Akademien und Autoren und Woͤrterbuͤcher ſo gebildete Sprache, denn ſo zu Ende gebildet, daß ſie ſich nicht mit jedem neuen originalen Autor, ja mit jedem Kopfe, der neuen Ton in die Geſellſchaft bringt, neu bilden, oder mißbilden muͤßte? — Mit ſolchen Para- logiſmen ſind die Verfechter der gegenſeitigen Meinung behangen — man urtheile, ob es lohne, ſich auf jede Kleinigkeit ihrer Einwuͤrfe einzulaſſen.
Ein andrer z. B. ſagt: „wie doch die Men- „ſchen wohl je aus Nothdurft ihre Sprache haͤtten „fortbilden wollen, wenn ſie Lukrezens Mutum et „turpe pecus geweſen waͤren?„ und laͤßt ſich auf eine Menge halbwahrer Jnſtanzen der Wilden
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die Sprache ſchon im Vater und in der Mutter
gebildet, die ſie die Kinder lehrten, aber dorfte
deswegen ſchon die Sprache ganz gebildet ſeyn,
auch ſelbſt die, die ſie ſie nicht lehrten? Und konn-
ten denn die Kinder in einer neuern, weitern,
feinern Welt nichts mehr dazu erfinden? und iſt
denn eine zum Theil gebildete, ſich weiter fort-
bildende Sprache ein Wiederſpruch? Wenn iſt
die Franzoͤſiſche, durch Akademien und Autoren
und Woͤrterbuͤcher ſo gebildete Sprache, denn ſo
zu Ende gebildet, daß ſie ſich nicht mit jedem
neuen originalen Autor, ja mit jedem Kopfe, der
neuen Ton in die Geſellſchaft bringt, neu bilden,
oder mißbilden muͤßte? — Mit ſolchen Para-
logiſmen ſind die Verfechter der gegenſeitigen
Meinung behangen — man urtheile, ob es
lohne, ſich auf jede Kleinigkeit ihrer Einwuͤrfe
einzulaſſen.
Ein andrer z. B. ſagt: „wie doch die Men-
„ſchen wohl je aus Nothdurft ihre Sprache haͤtten
„fortbilden wollen, wenn ſie Lukrezens Mutum et
„turpe pecus geweſen waͤren?„ und laͤßt ſich auf
eine Menge halbwahrer Jnſtanzen der Wilden
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/189>, abgerufen am 22.07.2024.
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