Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Grab: die Natur unterrichtet für ihn. Alles
bleibt also Einzeln, das unmittelbare Werk der
Natur und so wird "keine Progreßion der Seele
"des Geschlechts,
" kein Ganzes, wie es die
Natur am Menschen wollte. Den band sie also
durch Noth und einen zuvorkommenden Eltern-
trieb, für den die Griechen das Wort sorge hat-
ten, zusammen, und so wurde "ein Band des
Unterrichts und der Erziehung" ihm wesentlich.
Da hatten Eltern den Kreis ihrer Jdeen nicht
für sich gesammlet; er war zugleich da, um mit-
getheilt
zu werden, und der Sohn hat den Vor-
theil, den Reichthum ihres Geistes schon frühe,
wie im Auszuge zu erben. Jene tragen die
Schuld der Natur ab, indem sie lehren; diese
füllen das ideenlose Bedürfniß ihrer Natur aus,
indem sie lernen: so wie sie nachher wieder ihre
Schuld der Natur abtragen werden, diesen Reich-
thum mit Eignem zu vermehren und ihn wieder
weiter fortzupflanzen. Kein einzelner Mensch ist
für sich da: "er ist, in das Ganze des Ge-
"schlechts eingeschoben,
er ist nur Eins für
"die fortgehende Folge.

Was

Grab: die Natur unterrichtet fuͤr ihn. Alles
bleibt alſo Einzeln, das unmittelbare Werk der
Natur und ſo wird „keine Progreßion der Seele
„des Geſchlechts,
„ kein Ganzes, wie es die
Natur am Menſchen wollte. Den band ſie alſo
durch Noth und einen zuvorkommenden Eltern-
trieb, fuͤr den die Griechen das Wort ςοργὴ hat-
ten, zuſammen, und ſo wurde „ein Band des
Unterrichts und der Erziehung„ ihm weſentlich.
Da hatten Eltern den Kreis ihrer Jdeen nicht
fuͤr ſich geſammlet; er war zugleich da, um mit-
getheilt
zu werden, und der Sohn hat den Vor-
theil, den Reichthum ihres Geiſtes ſchon fruͤhe,
wie im Auszuge zu erben. Jene tragen die
Schuld der Natur ab, indem ſie lehren; dieſe
fuͤllen das ideenloſe Beduͤrfniß ihrer Natur aus,
indem ſie lernen: ſo wie ſie nachher wieder ihre
Schuld der Natur abtragen werden, dieſen Reich-
thum mit Eignem zu vermehren und ihn wieder
weiter fortzupflanzen. Kein einzelner Menſch iſt
fuͤr ſich da: „er iſt, in das Ganze des Ge-
„ſchlechts eingeſchoben,
er iſt nur Eins fuͤr
„die fortgehende Folge.

Was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0181" n="175"/>
Grab: die Natur unterrichtet fu&#x0364;r ihn. Alles<lb/>
bleibt al&#x017F;o Einzeln, das unmittelbare Werk der<lb/>
Natur und &#x017F;o wird &#x201E;<hi rendition="#fr">keine Progreßion der Seele<lb/>
&#x201E;des Ge&#x017F;chlechts,</hi>&#x201E; kein <hi rendition="#fr">Ganzes,</hi> wie es die<lb/>
Natur am Men&#x017F;chen wollte. Den band &#x017F;ie al&#x017F;o<lb/>
durch Noth und einen zuvorkommenden Eltern-<lb/>
trieb, fu&#x0364;r den die Griechen das Wort &#x03C2;&#x03BF;&#x03C1;&#x03B3;&#x1F74; hat-<lb/>
ten, zu&#x017F;ammen, und &#x017F;o wurde &#x201E;ein Band des<lb/><hi rendition="#fr">Unterrichts</hi> und der <hi rendition="#fr">Erziehung</hi>&#x201E; ihm we&#x017F;entlich.<lb/>
Da hatten Eltern den Kreis ihrer Jdeen nicht<lb/><hi rendition="#fr">fu&#x0364;r &#x017F;ich</hi> ge&#x017F;ammlet; er war zugleich da, um <hi rendition="#fr">mit-<lb/>
getheilt</hi> zu werden, und der Sohn hat den Vor-<lb/>
theil, den Reichthum ihres Gei&#x017F;tes &#x017F;chon fru&#x0364;he,<lb/>
wie im Auszuge zu erben. Jene tragen die<lb/>
Schuld der Natur ab, indem &#x017F;ie lehren; die&#x017F;e<lb/>
fu&#x0364;llen das ideenlo&#x017F;e Bedu&#x0364;rfniß ihrer Natur aus,<lb/>
indem &#x017F;ie lernen: &#x017F;o wie &#x017F;ie nachher wieder ihre<lb/>
Schuld der Natur abtragen werden, die&#x017F;en Reich-<lb/>
thum mit Eignem zu vermehren und ihn wieder<lb/>
weiter fortzupflanzen. Kein einzelner Men&#x017F;ch i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#fr">fu&#x0364;r &#x017F;ich</hi> da: &#x201E;er i&#x017F;t, <hi rendition="#fr">in das Ganze des Ge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chlechts einge&#x017F;choben,</hi> er i&#x017F;t <hi rendition="#fr">nur Eins fu&#x0364;r<lb/>
&#x201E;die fortgehende Folge.</hi></p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Was</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0181] Grab: die Natur unterrichtet fuͤr ihn. Alles bleibt alſo Einzeln, das unmittelbare Werk der Natur und ſo wird „keine Progreßion der Seele „des Geſchlechts,„ kein Ganzes, wie es die Natur am Menſchen wollte. Den band ſie alſo durch Noth und einen zuvorkommenden Eltern- trieb, fuͤr den die Griechen das Wort ςοργὴ hat- ten, zuſammen, und ſo wurde „ein Band des Unterrichts und der Erziehung„ ihm weſentlich. Da hatten Eltern den Kreis ihrer Jdeen nicht fuͤr ſich geſammlet; er war zugleich da, um mit- getheilt zu werden, und der Sohn hat den Vor- theil, den Reichthum ihres Geiſtes ſchon fruͤhe, wie im Auszuge zu erben. Jene tragen die Schuld der Natur ab, indem ſie lehren; dieſe fuͤllen das ideenloſe Beduͤrfniß ihrer Natur aus, indem ſie lernen: ſo wie ſie nachher wieder ihre Schuld der Natur abtragen werden, dieſen Reich- thum mit Eignem zu vermehren und ihn wieder weiter fortzupflanzen. Kein einzelner Menſch iſt fuͤr ſich da: „er iſt, in das Ganze des Ge- „ſchlechts eingeſchoben, er iſt nur Eins fuͤr „die fortgehende Folge. Was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/181
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/181>, abgerufen am 22.11.2024.