aus dem Munde der Klageweiber erkläret, und die bei uns so oft feierlicher Unsinn sind. Jm Gang, im Schwunge ihrer Gedichte und der Gesänge andrer alten Völker tönet der Ton, der noch die Krieges- und Religionstänze, die Trauer- und Freudengesänge aller Wilden belebet, sie mö- gen am Fuße der Cordilleras, oder im Schnee der Jrokösen, in Brasilien oder auf den Karaiben wohnen. Die Wurzeln ihrer einfachsten, würk- samsten, frühesten Verben endlich sind jene ersten Ausrüfe der Natur, die erst später gemodelt wur- den, und die Sprachen aller alten und wilden Völker sind daher in diesem innern, lebendigen Tone für Fremde ewig unaussprechlich!
Jch kann die meisten dieser Phänomene im Zu- sammenhange erst später erklären; hier stehe nur Eins. Einer der Vertheidiger des göttlichen Ur- sprunges der Sprache *) findet darinn göttliche Ordnung zu bewundern, "daß sich die Laute "aller uns bekannten Sprachen auf etliche "zwanzig Buchstaben bringen lassen." Allein
das
*)Süßmilchs Beweis, daß der Ursprung der menschli- chen Sprache göttlich sei, Berlin 1766. S. 21,
aus dem Munde der Klageweiber erklaͤret, und die bei uns ſo oft feierlicher Unſinn ſind. Jm Gang, im Schwunge ihrer Gedichte und der Geſaͤnge andrer alten Voͤlker toͤnet der Ton, der noch die Krieges- und Religionstaͤnze, die Trauer- und Freudengeſaͤnge aller Wilden belebet, ſie moͤ- gen am Fuße der Cordilleras, oder im Schnee der Jrokoͤſen, in Braſilien oder auf den Karaiben wohnen. Die Wurzeln ihrer einfachſten, wuͤrk- ſamſten, fruͤheſten Verben endlich ſind jene erſten Ausruͤfe der Natur, die erſt ſpaͤter gemodelt wur- den, und die Sprachen aller alten und wilden Voͤlker ſind daher in dieſem innern, lebendigen Tone fuͤr Fremde ewig unausſprechlich!
Jch kann die meiſten dieſer Phaͤnomene im Zu- ſammenhange erſt ſpaͤter erklaͤren; hier ſtehe nur Eins. Einer der Vertheidiger des goͤttlichen Ur- ſprunges der Sprache *) findet darinn goͤttliche Ordnung zu bewundern, „daß ſich die Laute „aller uns bekannten Sprachen auf etliche „zwanzig Buchſtaben bringen laſſen.„ Allein
das
*)Suͤßmilchs Beweis, daß der Urſprung der menſchli- chen Sprache göttlich ſei, Berlin 1766. S. 21,
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[12/0018]
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Geſaͤnge andrer alten Voͤlker toͤnet der Ton, der
noch die Krieges- und Religionstaͤnze, die Trauer-
und Freudengeſaͤnge aller Wilden belebet, ſie moͤ-
gen am Fuße der Cordilleras, oder im Schnee der
Jrokoͤſen, in Braſilien oder auf den Karaiben
wohnen. Die Wurzeln ihrer einfachſten, wuͤrk-
ſamſten, fruͤheſten Verben endlich ſind jene erſten
Ausruͤfe der Natur, die erſt ſpaͤter gemodelt wur-
den, und die Sprachen aller alten und wilden
Voͤlker ſind daher in dieſem innern, lebendigen
Tone fuͤr Fremde ewig unausſprechlich!
Jch kann die meiſten dieſer Phaͤnomene im Zu-
ſammenhange erſt ſpaͤter erklaͤren; hier ſtehe nur
Eins. Einer der Vertheidiger des goͤttlichen Ur-
ſprunges der Sprache *) findet darinn goͤttliche
Ordnung zu bewundern, „daß ſich die Laute
„aller uns bekannten Sprachen auf etliche
„zwanzig Buchſtaben bringen laſſen.„ Allein
das
*) Suͤßmilchs Beweis, daß der Urſprung der menſchli-
chen Sprache göttlich ſei, Berlin 1766. S. 21,
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/18>, abgerufen am 22.07.2024.
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