"lehrte überall erkannt haben müßten, daß ihre "Sprache unvollkommen, und daß sie einer Ver- "besserung nicht nur fähig, sondern auch bedürftig sey." Er nimmt an, daß "sie den Zweck der "Sprache haben gehörig beurtheilen müssen u. s. w. "daß die Vorstellung dieses zu erlangenden Gutes "hinlänglich, stark und lebhaft gnug gewesen seyn "müsse, um ein Bewegungsgrund zur Ueberneh- "mung dieser schweren Arbeit zu werden" Kurz der Philosoph unsres Zeitalters wollte sich nicht einen Schritt auch aus allem Zufälligen desselben hinauswagen, und wie konnte er denn nach solchem Gesichtspunkt von der Entstehung einer Sprache schreiben? Freilich in unserm Jahrhundert hätte sie so wenig entstehen können, als sie entstehen darf?
Aber kennen wir denn nicht jezt schon die Menschen in so verschiednen Zeitaltern, Gegen- den und Stuffen der Bildung, daß uns dies so ver- änderte große Schauspiel nicht sicherer auf die erste Scene schließen lehrte? Wissen wir denn nicht, daß eben in den Winkeln der Erde, wo noch die Vernunft am wenigsten in die feine, gesellschaft-
liche,
„lehrte uͤberall erkannt haben muͤßten, daß ihre „Sprache unvollkommen, und daß ſie einer Ver- „beſſerung nicht nur faͤhig, ſondern auch beduͤrftig ſey.„ Er nimmt an, daß „ſie den Zweck der „Sprache haben gehoͤrig beurtheilen muͤſſen u. ſ. w. „daß die Vorſtellung dieſes zu erlangenden Gutes „hinlaͤnglich, ſtark und lebhaft gnug geweſen ſeyn „muͤſſe, um ein Bewegungsgrund zur Ueberneh- „mung dieſer ſchweren Arbeit zu werden„ Kurz der Philoſoph unſres Zeitalters wollte ſich nicht einen Schritt auch aus allem Zufaͤlligen deſſelben hinauswagen, und wie konnte er denn nach ſolchem Geſichtspunkt von der Entſtehung einer Sprache ſchreiben? Freilich in unſerm Jahrhundert haͤtte ſie ſo wenig entſtehen koͤnnen, als ſie entſtehen darf?
Aber kennen wir denn nicht jezt ſchon die Menſchen in ſo verſchiednen Zeitaltern, Gegen- den und Stuffen der Bildung, daß uns dies ſo ver- aͤnderte große Schauſpiel nicht ſicherer auf die erſte Scene ſchließen lehrte? Wiſſen wir denn nicht, daß eben in den Winkeln der Erde, wo noch die Vernunft am wenigſten in die feine, geſellſchaft-
liche,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0172"n="166"/>„lehrte uͤberall erkannt haben muͤßten, daß ihre<lb/>„Sprache unvollkommen, und daß ſie einer Ver-<lb/>„beſſerung nicht nur faͤhig, ſondern auch beduͤrftig<lb/>ſey.„ Er nimmt an, daß „ſie den Zweck der<lb/>„Sprache haben gehoͤrig beurtheilen muͤſſen u. ſ. w.<lb/>„daß die Vorſtellung dieſes zu erlangenden Gutes<lb/>„hinlaͤnglich, ſtark und lebhaft gnug geweſen ſeyn<lb/>„muͤſſe, um ein Bewegungsgrund zur Ueberneh-<lb/>„mung dieſer ſchweren Arbeit zu werden„ Kurz<lb/>
der Philoſoph unſres Zeitalters wollte ſich nicht<lb/>
einen Schritt auch aus allem Zufaͤlligen deſſelben<lb/>
hinauswagen, und wie konnte er denn nach ſolchem<lb/>
Geſichtspunkt von der <hirendition="#fr">Entſtehung</hi> einer Sprache<lb/>ſchreiben? Freilich in unſerm Jahrhundert haͤtte<lb/>ſie ſo wenig <hirendition="#fr">entſtehen koͤnnen,</hi> als ſie <hirendition="#fr">entſtehen<lb/>
darf?</hi></p><lb/><p>Aber kennen wir denn nicht jezt ſchon die<lb/>
Menſchen in ſo verſchiednen Zeitaltern, Gegen-<lb/>
den und Stuffen der Bildung, daß uns dies ſo ver-<lb/>
aͤnderte große Schauſpiel nicht ſicherer auf die erſte<lb/>
Scene ſchließen lehrte? Wiſſen wir denn nicht,<lb/>
daß eben in den Winkeln der Erde, wo noch die<lb/>
Vernunft am wenigſten in die feine, geſellſchaft-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">liche,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[166/0172]
„lehrte uͤberall erkannt haben muͤßten, daß ihre
„Sprache unvollkommen, und daß ſie einer Ver-
„beſſerung nicht nur faͤhig, ſondern auch beduͤrftig
ſey.„ Er nimmt an, daß „ſie den Zweck der
„Sprache haben gehoͤrig beurtheilen muͤſſen u. ſ. w.
„daß die Vorſtellung dieſes zu erlangenden Gutes
„hinlaͤnglich, ſtark und lebhaft gnug geweſen ſeyn
„muͤſſe, um ein Bewegungsgrund zur Ueberneh-
„mung dieſer ſchweren Arbeit zu werden„ Kurz
der Philoſoph unſres Zeitalters wollte ſich nicht
einen Schritt auch aus allem Zufaͤlligen deſſelben
hinauswagen, und wie konnte er denn nach ſolchem
Geſichtspunkt von der Entſtehung einer Sprache
ſchreiben? Freilich in unſerm Jahrhundert haͤtte
ſie ſo wenig entſtehen koͤnnen, als ſie entſtehen
darf?
Aber kennen wir denn nicht jezt ſchon die
Menſchen in ſo verſchiednen Zeitaltern, Gegen-
den und Stuffen der Bildung, daß uns dies ſo ver-
aͤnderte große Schauſpiel nicht ſicherer auf die erſte
Scene ſchließen lehrte? Wiſſen wir denn nicht,
daß eben in den Winkeln der Erde, wo noch die
Vernunft am wenigſten in die feine, geſellſchaft-
liche,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/172>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.