ein: "ei, wenn der Mensch sich gegen alles auf "so langsame, schwache, unhinreichende Art erst "retten soll -- Durch Vernunft, durch Ueberle- "gung? wie langsam überlegt diese! und wie "schnell, wie andringend sind seine Bedürfnisse? "seine Gefahren! - - Es kann dieser Einwurf freilich mit Beispielen sehr ausgeschmükt werden; er streitet aber immer gegen eine ganz andre Spitze. -- - Unsre Gesellschaft, die viele Menschen zusammengebracht, daß sie mit ihren Fähigkeiten und Verrichtungen Eins seyn sollen, muß also von Jugend auf Fähigkeiten vertheilen und Gelegen- heiten ausspenden, daß Eine für der andern gebil- det werde. So wird der Eine Mensch für die Gesellschaft gleichsam ganz Algebra, ganz Ver- nunft; so wie sie am andern blos Herz, Muth und Faust braucht: der nuzt ihr, daß er kein Ge- nie und viel Fleiß: jener, daß er Genie in Einem und in allem andern nichts habe. Jedes Trieb- rad muß sein Verhältniß und Stelle haben: sonst machen sie kein Ganzes einer Maschine -- Aber daß man diese Vertheilung der Seelenkräfte, da man alle andre merklich erstikt, um in Einer an-
dre
ein: „ei, wenn der Menſch ſich gegen alles auf „ſo langſame, ſchwache, unhinreichende Art erſt „retten ſoll — Durch Vernunft, durch Ueberle- „gung? wie langſam uͤberlegt dieſe! und wie „ſchnell, wie andringend ſind ſeine Beduͤrfniſſe? „ſeine Gefahren! ‒ ‒ Es kann dieſer Einwurf freilich mit Beiſpielen ſehr ausgeſchmuͤkt werden; er ſtreitet aber immer gegen eine ganz andre Spitze. — ‒ Unſre Geſellſchaft, die viele Menſchen zuſammengebracht, daß ſie mit ihren Faͤhigkeiten und Verrichtungen Eins ſeyn ſollen, muß alſo von Jugend auf Faͤhigkeiten vertheilen und Gelegen- heiten ausſpenden, daß Eine fuͤr der andern gebil- det werde. So wird der Eine Menſch fuͤr die Geſellſchaft gleichſam ganz Algebra, ganz Ver- nunft; ſo wie ſie am andern blos Herz, Muth und Fauſt braucht: der nuzt ihr, daß er kein Ge- nie und viel Fleiß: jener, daß er Genie in Einem und in allem andern nichts habe. Jedes Trieb- rad muß ſein Verhaͤltniß und Stelle haben: ſonſt machen ſie kein Ganzes einer Maſchine — Aber daß man dieſe Vertheilung der Seelenkraͤfte, da man alle andre merklich erſtikt, um in Einer an-
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ein: „ei, wenn der Menſch ſich gegen alles auf
„ſo langſame, ſchwache, unhinreichende Art erſt
„retten ſoll — Durch Vernunft, durch Ueberle-
„gung? wie langſam uͤberlegt dieſe! und wie
„ſchnell, wie andringend ſind ſeine Beduͤrfniſſe?
„ſeine Gefahren! ‒ ‒ Es kann dieſer Einwurf
freilich mit Beiſpielen ſehr ausgeſchmuͤkt werden;
er ſtreitet aber immer gegen eine ganz andre
Spitze. — ‒ Unſre Geſellſchaft, die viele Menſchen
zuſammengebracht, daß ſie mit ihren Faͤhigkeiten
und Verrichtungen Eins ſeyn ſollen, muß alſo von
Jugend auf Faͤhigkeiten vertheilen und Gelegen-
heiten ausſpenden, daß Eine fuͤr der andern gebil-
det werde. So wird der Eine Menſch fuͤr die
Geſellſchaft gleichſam ganz Algebra, ganz Ver-
nunft; ſo wie ſie am andern blos Herz, Muth
und Fauſt braucht: der nuzt ihr, daß er kein Ge-
nie und viel Fleiß: jener, daß er Genie in Einem
und in allem andern nichts habe. Jedes Trieb-
rad muß ſein Verhaͤltniß und Stelle haben: ſonſt
machen ſie kein Ganzes einer Maſchine — Aber
daß man dieſe Vertheilung der Seelenkraͤfte, da
man alle andre merklich erſtikt, um in Einer an-
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/164>, abgerufen am 22.07.2024.
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