er genießen? -- Sinne, Geruch, Witterung für die Kräuter, die ihm gesund; Abneigung für die, so ihm schädlich sind, hat die Natur ihm nicht ge- geben; er muß also versuchen, schmecken, wie die Europäer in Amerika den Thieren absehen, was eßbar sey? -- Sich also Merkmale der Kräuter, mithin Sprache sammlen! Er hat nicht Stärke genug, um dem Löwen zu begegnen; er entweiche also ferne von ihm, kenne ihn von fern an seinem Schalle, und um ihm menschlich und mit Bedacht entweichen zu können, lerne ihn und hundert an- dre schädliche Thiere deutlich erkennen, mithin sie nennen! Je mehr er nun Erfahrungen sammlet, verschiedne Dinge und von verschiednen Sei- ten kennen lernt, desto reicher wird seine Spra- che! Je öfter er diese Erfahrungen siehet und die Merkmale bei sich wiederholet, desto fester und geläufiger wird seine Sprache. Je mehr er un- terscheidet und unter einander ordnet, desto ordentlicher wird seine Sprache! Dies Jahre durch, in einem muntern Leben, in steten Abwech- selungen, in beständigem Kampf, mit Schwürig- keiten und Nothdurft, mit beständiger Neuheit der
Gegen-
er genießen? — Sinne, Geruch, Witterung fuͤr die Kraͤuter, die ihm geſund; Abneigung fuͤr die, ſo ihm ſchaͤdlich ſind, hat die Natur ihm nicht ge- geben; er muß alſo verſuchen, ſchmecken, wie die Europaͤer in Amerika den Thieren abſehen, was eßbar ſey? — Sich alſo Merkmale der Kraͤuter, mithin Sprache ſammlen! Er hat nicht Staͤrke genug, um dem Loͤwen zu begegnen; er entweiche alſo ferne von ihm, kenne ihn von fern an ſeinem Schalle, und um ihm menſchlich und mit Bedacht entweichen zu koͤnnen, lerne ihn und hundert an- dre ſchaͤdliche Thiere deutlich erkennen, mithin ſie nennen! Je mehr er nun Erfahrungen ſammlet, verſchiedne Dinge und von verſchiednen Sei- ten kennen lernt, deſto reicher wird ſeine Spra- che! Je oͤfter er dieſe Erfahrungen ſiehet und die Merkmale bei ſich wiederholet, deſto feſter und gelaͤufiger wird ſeine Sprache. Je mehr er un- terſcheidet und unter einander ordnet, deſto ordentlicher wird ſeine Sprache! Dies Jahre durch, in einem muntern Leben, in ſteten Abwech- ſelungen, in beſtaͤndigem Kampf, mit Schwuͤrig- keiten und Nothdurft, mit beſtaͤndiger Neuheit der
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er genießen? — Sinne, Geruch, Witterung fuͤr
die Kraͤuter, die ihm geſund; Abneigung fuͤr die,
ſo ihm ſchaͤdlich ſind, hat die Natur ihm nicht ge-
geben; er muß alſo verſuchen, ſchmecken, wie die
Europaͤer in Amerika den Thieren abſehen, was
eßbar ſey? — Sich alſo Merkmale der Kraͤuter,
mithin Sprache ſammlen! Er hat nicht Staͤrke
genug, um dem Loͤwen zu begegnen; er entweiche
alſo ferne von ihm, kenne ihn von fern an ſeinem
Schalle, und um ihm menſchlich und mit Bedacht
entweichen zu koͤnnen, lerne ihn und hundert an-
dre ſchaͤdliche Thiere deutlich erkennen, mithin ſie
nennen! Je mehr er nun Erfahrungen ſammlet,
verſchiedne Dinge und von verſchiednen Sei-
ten kennen lernt, deſto reicher wird ſeine Spra-
che! Je oͤfter er dieſe Erfahrungen ſiehet und die
Merkmale bei ſich wiederholet, deſto feſter und
gelaͤufiger wird ſeine Sprache. Je mehr er un-
terſcheidet und unter einander ordnet, deſto
ordentlicher wird ſeine Sprache! Dies Jahre
durch, in einem muntern Leben, in ſteten Abwech-
ſelungen, in beſtaͤndigem Kampf, mit Schwuͤrig-
keiten und Nothdurft, mit beſtaͤndiger Neuheit der
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/162>, abgerufen am 16.02.2025.
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