so wird mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch dieser Sinne, ihm Sprache fortgebildet. Lasset ihm den freien Gebrauch seiner Seelenkräfte. Da der Mittelpunkt ihres Gebrauchs auf Besonnen- heit fällt, mithin nicht ohne Sprache ist, so wird mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch der Be- sonnenheit, ihm Sprache mehr gebildet. Folg- lich wird "die Fortbildung der Sprache dem "Menschen so natürlich, als seine Natur "selbst."
Wer ist nun, der den Umfang der Kräste einer Menschenseele kenne, wenn sie sich zumal in aller Anstrengung gegen Schwürigkeiten und Gefahren äußern? Wer ist, der den Grad der Vollkom- menheit abwiege, zu dem sie durch eine bestandige, innig verwickelte, so vielfache Fortbildung gelan- gen kann? Und da alles auf Sprache hinaus läuft, wie ansehnlich, was ein Einzelner Mensch zur Sprache sammlen muß! Mußte sich schon der Blinde und Stumme, auf seinem einsamen Ei- lande eine dürftige Sprache schaffen; der Mensch, der Lehrling aller Sinne! der Lehrling der ganzen Welt! wie weit reicher muß er werden! Was soll
er
ſo wird mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch dieſer Sinne, ihm Sprache fortgebildet. Laſſet ihm den freien Gebrauch ſeiner Seelenkraͤfte. Da der Mittelpunkt ihres Gebrauchs auf Beſonnen- heit faͤllt, mithin nicht ohne Sprache iſt, ſo wird mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch der Be- ſonnenheit, ihm Sprache mehr gebildet. Folg- lich wird „die Fortbildung der Sprache dem „Menſchen ſo natuͤrlich, als ſeine Natur „ſelbſt.„
Wer iſt nun, der den Umfang der Kraͤſte einer Menſchenſeele kenne, wenn ſie ſich zumal in aller Anſtrengung gegen Schwuͤrigkeiten und Gefahren aͤußern? Wer iſt, der den Grad der Vollkom- menheit abwiege, zu dem ſie durch eine beſtandige, innig verwickelte, ſo vielfache Fortbildung gelan- gen kann? Und da alles auf Sprache hinaus laͤuft, wie anſehnlich, was ein Einzelner Menſch zur Sprache ſammlen muß! Mußte ſich ſchon der Blinde und Stumme, auf ſeinem einſamen Ei- lande eine duͤrftige Sprache ſchaffen; der Menſch, der Lehrling aller Sinne! der Lehrling der ganzen Welt! wie weit reicher muß er werden! Was ſoll
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ſo wird mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch
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ihm den freien Gebrauch ſeiner Seelenkraͤfte. Da
der Mittelpunkt ihres Gebrauchs auf Beſonnen-
heit faͤllt, mithin nicht ohne Sprache iſt, ſo wird
mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch der Be-
ſonnenheit, ihm Sprache mehr gebildet. Folg-
lich wird „die Fortbildung der Sprache dem
„Menſchen ſo natuͤrlich, als ſeine Natur
„ſelbſt.„
Wer iſt nun, der den Umfang der Kraͤſte einer
Menſchenſeele kenne, wenn ſie ſich zumal in aller
Anſtrengung gegen Schwuͤrigkeiten und Gefahren
aͤußern? Wer iſt, der den Grad der Vollkom-
menheit abwiege, zu dem ſie durch eine beſtandige,
innig verwickelte, ſo vielfache Fortbildung gelan-
gen kann? Und da alles auf Sprache hinaus laͤuft,
wie anſehnlich, was ein Einzelner Menſch zur
Sprache ſammlen muß! Mußte ſich ſchon der
Blinde und Stumme, auf ſeinem einſamen Ei-
lande eine duͤrftige Sprache ſchaffen; der Menſch,
der Lehrling aller Sinne! der Lehrling der ganzen
Welt! wie weit reicher muß er werden! Was ſoll
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/161>, abgerufen am 16.02.2025.
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