Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht gleich merklich: ist aber, das minder merk-
liche, deßwegen nicht da? im Traume, im Ge-
dankentraume, denkt der Mensch nicht so ordentlich
und deutlich, als wachend, deßwegen aber denkt
er noch immer als ein Mensch -- als Mensch in
einem Mittelzustande; nie als ein völliges Thier.
Bei einem Gesunden müssen seine Träume so gut
eine Regel der Verbindung haben, als seine wa-
chenden Gedanken; nur daß es nicht: dieselbe Re-
gel seyn, oder diese so einförmig würken kann; selbst
diese Ausnahmen zeugten also von der Gültigkeit
des Hauptgesetzes, und die offenbaren Krankheiten
und unnatürlichen Zustände, Ohnmachten, Ver-
rückungen, u. s. w. zeugen es noch mehr. Nicht
jede Handlung der Seele ist unmittelbar eine Fol-
ge der Besinnung;
jede aber eine Folge der
Besonnenheit:
Keine, so wie sie beim Menschen
geschiehet, könnte sich äußern, wann der Mensch
nicht Mensch wäre, und nach solchem Naturge-
setz dächte.

"Konnte nun der erste Zustand der Besin-
"nung des Menschen nicht ohne Wort der Seele
"würklich werden: so werden alle Zustände der

"Be-

nicht gleich merklich: iſt aber, das minder merk-
liche, deßwegen nicht da? im Traume, im Ge-
dankentraume, denkt der Menſch nicht ſo ordentlich
und deutlich, als wachend, deßwegen aber denkt
er noch immer als ein Menſch — als Menſch in
einem Mittelzuſtande; nie als ein voͤlliges Thier.
Bei einem Geſunden muͤſſen ſeine Traͤume ſo gut
eine Regel der Verbindung haben, als ſeine wa-
chenden Gedanken; nur daß es nicht: dieſelbe Re-
gel ſeyn, oder dieſe ſo einfoͤrmig wuͤrken kann; ſelbſt
dieſe Ausnahmen zeugten alſo von der Guͤltigkeit
des Hauptgeſetzes, und die offenbaren Krankheiten
und unnatuͤrlichen Zuſtaͤnde, Ohnmachten, Ver-
ruͤckungen, u. ſ. w. zeugen es noch mehr. Nicht
jede Handlung der Seele iſt unmittelbar eine Fol-
ge der Beſinnung;
jede aber eine Folge der
Beſonnenheit:
Keine, ſo wie ſie beim Menſchen
geſchiehet, koͤnnte ſich aͤußern, wann der Menſch
nicht Menſch waͤre, und nach ſolchem Naturge-
ſetz daͤchte.

„Konnte nun der erſte Zuſtand der Beſin-
„nung des Menſchen nicht ohne Wort der Seele
„wuͤrklich werden: ſo werden alle Zuſtaͤnde der

Be-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0158" n="152"/>
nicht gleich merklich: i&#x017F;t aber, das minder merk-<lb/>
liche, deßwegen nicht da? im Traume, im Ge-<lb/>
dankentraume, denkt der Men&#x017F;ch nicht &#x017F;o ordentlich<lb/>
und deutlich, als wachend, deßwegen aber denkt<lb/>
er noch immer als ein Men&#x017F;ch &#x2014; als Men&#x017F;ch in<lb/>
einem Mittelzu&#x017F;tande; nie als ein vo&#x0364;lliges Thier.<lb/>
Bei einem Ge&#x017F;unden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eine Tra&#x0364;ume &#x017F;o gut<lb/>
eine Regel der Verbindung haben, als &#x017F;eine wa-<lb/>
chenden Gedanken; nur daß es nicht: <hi rendition="#fr">die&#x017F;elbe</hi> Re-<lb/>
gel &#x017F;eyn, oder die&#x017F;e &#x017F;o einfo&#x0364;rmig wu&#x0364;rken kann; &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;e Ausnahmen zeugten al&#x017F;o von der Gu&#x0364;ltigkeit<lb/>
des Hauptge&#x017F;etzes, und die offenbaren Krankheiten<lb/>
und unnatu&#x0364;rlichen Zu&#x017F;ta&#x0364;nde, Ohnmachten, Ver-<lb/>
ru&#x0364;ckungen, u. &#x017F;. w. zeugen es noch mehr. Nicht<lb/>
jede Handlung der Seele i&#x017F;t unmittelbar eine <hi rendition="#fr">Fol-<lb/>
ge der Be&#x017F;innung;</hi> jede aber eine <hi rendition="#fr">Folge der<lb/>
Be&#x017F;onnenheit:</hi> Keine, &#x017F;o wie &#x017F;ie beim Men&#x017F;chen<lb/>
ge&#x017F;chiehet, ko&#x0364;nnte &#x017F;ich a&#x0364;ußern, wann der Men&#x017F;ch<lb/>
nicht Men&#x017F;ch wa&#x0364;re, und nach &#x017F;olchem Naturge-<lb/>
&#x017F;etz da&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Konnte nun der <hi rendition="#fr">er&#x017F;te</hi> Zu&#x017F;tand der Be&#x017F;in-<lb/>
&#x201E;nung des Men&#x017F;chen nicht ohne <hi rendition="#fr">Wort</hi> der Seele<lb/>
&#x201E;wu&#x0364;rklich werden: &#x017F;o werden <hi rendition="#fr">alle Zu&#x017F;ta&#x0364;nde der</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;<hi rendition="#fr">Be-</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0158] nicht gleich merklich: iſt aber, das minder merk- liche, deßwegen nicht da? im Traume, im Ge- dankentraume, denkt der Menſch nicht ſo ordentlich und deutlich, als wachend, deßwegen aber denkt er noch immer als ein Menſch — als Menſch in einem Mittelzuſtande; nie als ein voͤlliges Thier. Bei einem Geſunden muͤſſen ſeine Traͤume ſo gut eine Regel der Verbindung haben, als ſeine wa- chenden Gedanken; nur daß es nicht: dieſelbe Re- gel ſeyn, oder dieſe ſo einfoͤrmig wuͤrken kann; ſelbſt dieſe Ausnahmen zeugten alſo von der Guͤltigkeit des Hauptgeſetzes, und die offenbaren Krankheiten und unnatuͤrlichen Zuſtaͤnde, Ohnmachten, Ver- ruͤckungen, u. ſ. w. zeugen es noch mehr. Nicht jede Handlung der Seele iſt unmittelbar eine Fol- ge der Beſinnung; jede aber eine Folge der Beſonnenheit: Keine, ſo wie ſie beim Menſchen geſchiehet, koͤnnte ſich aͤußern, wann der Menſch nicht Menſch waͤre, und nach ſolchem Naturge- ſetz daͤchte. „Konnte nun der erſte Zuſtand der Beſin- „nung des Menſchen nicht ohne Wort der Seele „wuͤrklich werden: ſo werden alle Zuſtaͤnde der „Be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/158
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/158>, abgerufen am 22.11.2024.