Die Natur gibt keine Kräfte umsonst. Wenn sie also dem Menschen nicht bloß Fähig- keiten gab, Sprache zu erfinden, sondern auch diese Fähigkeit zum Unterscheidungscharakter seines Wesens, und zur Triebfeder seiner vorzüg- lichen Richtung machte: so kam diese Kraft nicht anders als lebend, aus ihrer Hand, und so konnte sie nicht anders, als in eine Sphäre gesezt seyn, wo sie würken mußte. Lasset uns einige dieser Umstände und Anliegenheiten genauer betrachten, die sogleich den Menschen, da er mit der nächsten Anlage sich Sprache zu bilden, in die Welt trat, sogleich zur Sprache veranlaßten, und da dieser Anliegenheiten viel sind, so bringe ich sie unter gewisse Hauptgesetze seiner Natur und seines Geschlechts:
Erstes
Die Natur gibt keine Kraͤfte umſonſt. Wenn ſie alſo dem Menſchen nicht bloß Faͤhig- keiten gab, Sprache zu erfinden, ſondern auch dieſe Faͤhigkeit zum Unterſcheidungscharakter ſeines Weſens, und zur Triebfeder ſeiner vorzuͤg- lichen Richtung machte: ſo kam dieſe Kraft nicht anders als lebend, aus ihrer Hand, und ſo konnte ſie nicht anders, als in eine Sphaͤre geſezt ſeyn, wo ſie wuͤrken mußte. Laſſet uns einige dieſer Umſtaͤnde und Anliegenheiten genauer betrachten, die ſogleich den Menſchen, da er mit der naͤchſten Anlage ſich Sprache zu bilden, in die Welt trat, ſogleich zur Sprache veranlaßten, und da dieſer Anliegenheiten viel ſind, ſo bringe ich ſie unter gewiſſe Hauptgeſetze ſeiner Natur und ſeines Geſchlechts:
Erſtes
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[[143]/0149]
Die Natur gibt keine Kraͤfte umſonſt. Wenn
ſie alſo dem Menſchen nicht bloß Faͤhig-
keiten gab, Sprache zu erfinden, ſondern
auch dieſe Faͤhigkeit zum Unterſcheidungscharakter
ſeines Weſens, und zur Triebfeder ſeiner vorzuͤg-
lichen Richtung machte: ſo kam dieſe Kraft nicht
anders als lebend, aus ihrer Hand, und ſo konnte
ſie nicht anders, als in eine Sphaͤre geſezt ſeyn,
wo ſie wuͤrken mußte. Laſſet uns einige dieſer
Umſtaͤnde und Anliegenheiten genauer betrachten,
die ſogleich den Menſchen, da er mit der naͤchſten
Anlage ſich Sprache zu bilden, in die Welt trat,
ſogleich zur Sprache veranlaßten, und da dieſer
Anliegenheiten viel ſind, ſo bringe ich ſie unter
gewiſſe Hauptgeſetze ſeiner Natur und ſeines
Geſchlechts:
Erſtes
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. [143]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/149>, abgerufen am 11.02.2025.
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