Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

schwürig würde es einem solchen Geschöpf, ganz
Auge! Wenn es doch Mensch seyn sollte, das
was es sähe zu benennen! Das kalte Gesicht mit
dem wärmern Gefühl, mit dem ganzen Stamme
der Menschheit zu einverbinden! -- Doch die
Jnstanz selbst wird wiedersprechend: der Weg zu
Entwiklung der menschlichen Natur -- ist besser und
Einzig! Da alle Sinne zusammen würken, sind wir,
durchs Gehör, gleichsam immer in der Schule der
Natur, lernen abstrahiren, und zugleich sprechen;
das Gesicht verfeinert sich mit der Vernunft: Ver-
nunft und die Gabe der Bezeichnung, und so wenn
der Mensch zu der feinsten Charakteristik sichtli-
cher Phänomene kommt -- Welch ein Vorrath
von Sprache und Sprachähnlichkeiten liegt schon
fertig! Er nahm den Weg aus dem Gefühl in
den Sinn feiner Phantasmen nicht anders als
über den Sinn der Sprache, und hat also gelernt
tönen, sowohl was er siehet, als was er fühlte.

Könnte ich nun hier alle Enden zusammen neh-
men, und mit Einmal das Gewebe sichtbar ma-
chen, was menschliche Natur heißt: durchaus ein
Gewebe zur Sprache. Dazu, sahen wir, war

dieser

ſchwuͤrig wuͤrde es einem ſolchen Geſchoͤpf, ganz
Auge! Wenn es doch Menſch ſeyn ſollte, das
was es ſaͤhe zu benennen! Das kalte Geſicht mit
dem waͤrmern Gefuͤhl, mit dem ganzen Stamme
der Menſchheit zu einverbinden! — Doch die
Jnſtanz ſelbſt wird wiederſprechend: der Weg zu
Entwiklung der menſchlichen Natur — iſt beſſer und
Einzig! Da alle Sinne zuſammen wuͤrken, ſind wir,
durchs Gehoͤr, gleichſam immer in der Schule der
Natur, lernen abſtrahiren, und zugleich ſprechen;
das Geſicht verfeinert ſich mit der Vernunft: Ver-
nunft und die Gabe der Bezeichnung, und ſo wenn
der Menſch zu der feinſten Charakteriſtik ſichtli-
cher Phaͤnomene kommt — Welch ein Vorrath
von Sprache und Sprachaͤhnlichkeiten liegt ſchon
fertig! Er nahm den Weg aus dem Gefuͤhl in
den Sinn feiner Phantaſmen nicht anders als
uͤber den Sinn der Sprache, und hat alſo gelernt
toͤnen, ſowohl was er ſiehet, als was er fuͤhlte.

Koͤnnte ich nun hier alle Enden zuſammen neh-
men, und mit Einmal das Gewebe ſichtbar ma-
chen, was menſchliche Natur heißt: durchaus ein
Gewebe zur Sprache. Dazu, ſahen wir, war

dieſer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0112" n="106"/>
&#x017F;chwu&#x0364;rig wu&#x0364;rde es einem &#x017F;olchen Ge&#x017F;cho&#x0364;pf, ganz<lb/>
Auge! Wenn es doch Men&#x017F;ch &#x017F;eyn &#x017F;ollte, das<lb/>
was es &#x017F;a&#x0364;he zu benennen! Das kalte Ge&#x017F;icht mit<lb/>
dem wa&#x0364;rmern Gefu&#x0364;hl, mit dem ganzen Stamme<lb/>
der Men&#x017F;chheit zu einverbinden! &#x2014; Doch die<lb/>
Jn&#x017F;tanz &#x017F;elb&#x017F;t wird wieder&#x017F;prechend: der Weg zu<lb/>
Entwiklung der men&#x017F;chlichen Natur &#x2014; i&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er und<lb/>
Einzig! Da alle Sinne zu&#x017F;ammen wu&#x0364;rken, &#x017F;ind wir,<lb/>
durchs Geho&#x0364;r, gleich&#x017F;am immer in der Schule der<lb/>
Natur, lernen ab&#x017F;trahiren, und zugleich &#x017F;prechen;<lb/>
das Ge&#x017F;icht verfeinert &#x017F;ich mit der Vernunft: Ver-<lb/>
nunft und die Gabe der Bezeichnung, und &#x017F;o wenn<lb/>
der Men&#x017F;ch zu der fein&#x017F;ten Charakteri&#x017F;tik &#x017F;ichtli-<lb/>
cher Pha&#x0364;nomene kommt &#x2014; Welch ein Vorrath<lb/>
von Sprache und Spracha&#x0364;hnlichkeiten liegt &#x017F;chon<lb/>
fertig! Er nahm den Weg aus dem Gefu&#x0364;hl in<lb/>
den Sinn feiner Phanta&#x017F;men nicht anders als<lb/>
u&#x0364;ber den Sinn der Sprache, und hat al&#x017F;o gelernt<lb/>
to&#x0364;nen, &#x017F;owohl was er &#x017F;iehet, als was er fu&#x0364;hlte.</p><lb/>
            <p>Ko&#x0364;nnte ich nun hier alle Enden zu&#x017F;ammen neh-<lb/>
men, und mit Einmal das Gewebe &#x017F;ichtbar ma-<lb/>
chen, was men&#x017F;chliche Natur heißt: durchaus ein<lb/>
Gewebe zur Sprache. Dazu, &#x017F;ahen wir, war<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die&#x017F;er</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0112] ſchwuͤrig wuͤrde es einem ſolchen Geſchoͤpf, ganz Auge! Wenn es doch Menſch ſeyn ſollte, das was es ſaͤhe zu benennen! Das kalte Geſicht mit dem waͤrmern Gefuͤhl, mit dem ganzen Stamme der Menſchheit zu einverbinden! — Doch die Jnſtanz ſelbſt wird wiederſprechend: der Weg zu Entwiklung der menſchlichen Natur — iſt beſſer und Einzig! Da alle Sinne zuſammen wuͤrken, ſind wir, durchs Gehoͤr, gleichſam immer in der Schule der Natur, lernen abſtrahiren, und zugleich ſprechen; das Geſicht verfeinert ſich mit der Vernunft: Ver- nunft und die Gabe der Bezeichnung, und ſo wenn der Menſch zu der feinſten Charakteriſtik ſichtli- cher Phaͤnomene kommt — Welch ein Vorrath von Sprache und Sprachaͤhnlichkeiten liegt ſchon fertig! Er nahm den Weg aus dem Gefuͤhl in den Sinn feiner Phantaſmen nicht anders als uͤber den Sinn der Sprache, und hat alſo gelernt toͤnen, ſowohl was er ſiehet, als was er fuͤhlte. Koͤnnte ich nun hier alle Enden zuſammen neh- men, und mit Einmal das Gewebe ſichtbar ma- chen, was menſchliche Natur heißt: durchaus ein Gewebe zur Sprache. Dazu, ſahen wir, war dieſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/112
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/112>, abgerufen am 29.11.2024.