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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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bunden: sie streichen vorbei; Eben dadurch aber
tönen sie auch. Sie werden aussprechlich, weil
sie ausgesprochen werden müssen und dadurch, daß
sie ausgesprochen werden müssen, durch ihre Be-
wegung, werden sie aussprechlich -- Welche Fä-
higkeit zur Sprache!

6) Das Gehör ist der mittlere Sinn in Absicht
seiner Entwiklung
und also Sinn der Sprache.

Gefühl ist der Mensch ganz: der Embryon in
seinem ersten Augenblick des Lebens fühlet wie der
junggebohrne: das ist Stamm der Natur, aus
dem die zärtern Aeste der Sinnlichkeit wachsen und
der verflochtne Kneuel, aus dem sich alle feinere
Seelenkräfte entwickeln. Wie entwickeln sich diese?
Wie wir gesehen, durchs Gehör, da die Natur
die Seele zur ersten deutlichen Empfindung durch
Schälle wecket -- Also gleichsam aus dem dunkeln
Schlaf des Gefühls wecket: und zu noch feinerer
Sinnlichkeit reifet. -- Wäre z. B. das Gesicht
schon vor ihm entwickelt da, oder wäre es möglich,
daß es anders als durch den Mittelsinn des Gehörs
aus dem Gefühl erwecket wäre -- welche weise
Armuth! welche hellsehende Dummheit! Wie

schwü-
G 5

bunden: ſie ſtreichen vorbei; Eben dadurch aber
toͤnen ſie auch. Sie werden ausſprechlich, weil
ſie ausgeſprochen werden muͤſſen und dadurch, daß
ſie ausgeſprochen werden muͤſſen, durch ihre Be-
wegung, werden ſie ausſprechlich — Welche Faͤ-
higkeit zur Sprache!

6) Das Gehoͤr iſt der mittlere Sinn in Abſicht
ſeiner Entwiklung
und alſo Sinn der Sprache.

Gefuͤhl iſt der Menſch ganz: der Embryon in
ſeinem erſten Augenblick des Lebens fuͤhlet wie der
junggebohrne: das iſt Stamm der Natur, aus
dem die zaͤrtern Aeſte der Sinnlichkeit wachſen und
der verflochtne Kneuel, aus dem ſich alle feinere
Seelenkraͤfte entwickeln. Wie entwickeln ſich dieſe?
Wie wir geſehen, durchs Gehoͤr, da die Natur
die Seele zur erſten deutlichen Empfindung durch
Schaͤlle wecket — Alſo gleichſam aus dem dunkeln
Schlaf des Gefuͤhls wecket: und zu noch feinerer
Sinnlichkeit reifet. — Waͤre z. B. das Geſicht
ſchon vor ihm entwickelt da, oder waͤre es moͤglich,
daß es anders als durch den Mittelſinn des Gehoͤrs
aus dem Gefuͤhl erwecket waͤre — welche weiſe
Armuth! welche hellſehende Dummheit! Wie

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[105/0111] bunden: ſie ſtreichen vorbei; Eben dadurch aber toͤnen ſie auch. Sie werden ausſprechlich, weil ſie ausgeſprochen werden muͤſſen und dadurch, daß ſie ausgeſprochen werden muͤſſen, durch ihre Be- wegung, werden ſie ausſprechlich — Welche Faͤ- higkeit zur Sprache! 6) Das Gehoͤr iſt der mittlere Sinn in Abſicht ſeiner Entwiklung und alſo Sinn der Sprache. Gefuͤhl iſt der Menſch ganz: der Embryon in ſeinem erſten Augenblick des Lebens fuͤhlet wie der junggebohrne: das iſt Stamm der Natur, aus dem die zaͤrtern Aeſte der Sinnlichkeit wachſen und der verflochtne Kneuel, aus dem ſich alle feinere Seelenkraͤfte entwickeln. Wie entwickeln ſich dieſe? Wie wir geſehen, durchs Gehoͤr, da die Natur die Seele zur erſten deutlichen Empfindung durch Schaͤlle wecket — Alſo gleichſam aus dem dunkeln Schlaf des Gefuͤhls wecket: und zu noch feinerer Sinnlichkeit reifet. — Waͤre z. B. das Geſicht ſchon vor ihm entwickelt da, oder waͤre es moͤglich, daß es anders als durch den Mittelſinn des Gehoͤrs aus dem Gefuͤhl erwecket waͤre — welche weiſe Armuth! welche hellſehende Dummheit! Wie ſchwuͤ- G 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/111>, abgerufen am 29.11.2024.