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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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stig u. s. w. die doch alle nur Oberflächen betreffen,
und nicht einmal tief einwürken, tönen alle, als
ob mans fühlte: Die Seele, die im Gedränge sol-
cher zusammenströmenden Empfindungen und in
der Bedürfniß war, ein Wort zu schaffen, griff
und bekam vielleicht das Wort eines nachbarlichen
Sinnes, dessen Gefühl mit diesem zusammenfloß, --
so wurden für alle und selbst für den kältesten
Sinn Worte. Der Blitz schallet nicht: wenn er
nun aber ausgedrükt werden soll, dieser Bote der
Mitternacht!

Der jezt im Nu enthüllet, Himm'l und Erd
Und eh ein Mensch noch sagen kann: sieh da!
Schon in den Schlund der Finsterniß hin-
ab ist --

natürlich wirds ein Wort machen, das durch Hülfe
eines Mittelgefühls dem Ohr die Empfindung des
Urplözlichschnellen gibt, die das Auge hatte --
Blitz! -- Das Wort: Duft, Ton, süß, bitter,
sauer u. s. w. tönen alle, als ob man fühlte: denn
was sind ursprünglich alle Sinne, anders, als
Gefühl? -- Wie aber Gefühl sich in Laut äus-
sern könne, das haben wir schon im ersten Ab-

schnitte

ſtig u. ſ. w. die doch alle nur Oberflaͤchen betreffen,
und nicht einmal tief einwuͤrken, toͤnen alle, als
ob mans fuͤhlte: Die Seele, die im Gedraͤnge ſol-
cher zuſammenſtroͤmenden Empfindungen und in
der Beduͤrfniß war, ein Wort zu ſchaffen, griff
und bekam vielleicht das Wort eines nachbarlichen
Sinnes, deſſen Gefuͤhl mit dieſem zuſammenfloß, —
ſo wurden fuͤr alle und ſelbſt fuͤr den kaͤlteſten
Sinn Worte. Der Blitz ſchallet nicht: wenn er
nun aber ausgedruͤkt werden ſoll, dieſer Bote der
Mitternacht!

Der jezt im Nu enthuͤllet, Himm’l und Erd
Und eh ein Menſch noch ſagen kann: ſieh da!
Schon in den Schlund der Finſterniß hin-
ab iſt —

natuͤrlich wirds ein Wort machen, das durch Huͤlfe
eines Mittelgefuͤhls dem Ohr die Empfindung des
Urploͤzlichſchnellen gibt, die das Auge hatte —
Blitz! — Das Wort: Duft, Ton, ſuͤß, bitter,
ſauer u. ſ. w. toͤnen alle, als ob man fuͤhlte: denn
was ſind urſpruͤnglich alle Sinne, anders, als
Gefuͤhl? — Wie aber Gefuͤhl ſich in Laut aͤuſ-
ſern koͤnne, das haben wir ſchon im erſten Ab-

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[98/0104] ſtig u. ſ. w. die doch alle nur Oberflaͤchen betreffen, und nicht einmal tief einwuͤrken, toͤnen alle, als ob mans fuͤhlte: Die Seele, die im Gedraͤnge ſol- cher zuſammenſtroͤmenden Empfindungen und in der Beduͤrfniß war, ein Wort zu ſchaffen, griff und bekam vielleicht das Wort eines nachbarlichen Sinnes, deſſen Gefuͤhl mit dieſem zuſammenfloß, — ſo wurden fuͤr alle und ſelbſt fuͤr den kaͤlteſten Sinn Worte. Der Blitz ſchallet nicht: wenn er nun aber ausgedruͤkt werden ſoll, dieſer Bote der Mitternacht! Der jezt im Nu enthuͤllet, Himm’l und Erd Und eh ein Menſch noch ſagen kann: ſieh da! Schon in den Schlund der Finſterniß hin- ab iſt — natuͤrlich wirds ein Wort machen, das durch Huͤlfe eines Mittelgefuͤhls dem Ohr die Empfindung des Urploͤzlichſchnellen gibt, die das Auge hatte — Blitz! — Das Wort: Duft, Ton, ſuͤß, bitter, ſauer u. ſ. w. toͤnen alle, als ob man fuͤhlte: denn was ſind urſpruͤnglich alle Sinne, anders, als Gefuͤhl? — Wie aber Gefuͤhl ſich in Laut aͤuſ- ſern koͤnne, das haben wir ſchon im erſten Ab- ſchnitte

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/104>, abgerufen am 29.11.2024.