Seele geläufig handelt! Wir wären alle, für ein blos vernünftiges Wesen, jener Gattung von Ver- rükten ähnlich, die klug denken, aber sehr unbe- greiflich und albern verbinden!
Bei sinnlichen Geschöpfen, die durch viele ver- schiedne Sinne auf Einmal empfinden, ist diese Versammlung von Jdeen unvermeidlich; denn was sind alle Sinne anders, als bloße Vorstel- lungsarten Einer positiven Kraft der Seele? Wir unterscheiden sie; aber wieder nur durch Sinne; also Vorstellungsarten durch Vorstellungsarten. Wir lernen mit vieler Mühe sie im Gebrauche trennen -- in einem gewissen Grunde aber wür- ken sie noch immer zusammen. Alle Zergliederun- gen der Sensation bei Buffons, Condillacs und Bonnets empfindendem Menschen sind Abstrak- tionen: der Philosoph muß Einen Faden der Em- pfindung liegen lassen, indem er den andern ver- folgt -- in der Natur aber sind alle die Fäden Ein Gewebe! -- je dunkler nun die Sinne sind, desto mehr fließen sie in einander; und je ungeübter, je weniger man noch gelernet hat, einen ohne den andern zu brauchen, mit Adresse und Deutlichkeit
zu
Seele gelaͤufig handelt! Wir waͤren alle, fuͤr ein blos vernuͤnftiges Weſen, jener Gattung von Ver- ruͤkten aͤhnlich, die klug denken, aber ſehr unbe- greiflich und albern verbinden!
Bei ſinnlichen Geſchoͤpfen, die durch viele ver- ſchiedne Sinne auf Einmal empfinden, iſt dieſe Verſammlung von Jdeen unvermeidlich; denn was ſind alle Sinne anders, als bloße Vorſtel- lungsarten Einer poſitiven Kraft der Seele? Wir unterſcheiden ſie; aber wieder nur durch Sinne; alſo Vorſtellungsarten durch Vorſtellungsarten. Wir lernen mit vieler Muͤhe ſie im Gebrauche trennen — in einem gewiſſen Grunde aber wuͤr- ken ſie noch immer zuſammen. Alle Zergliederun- gen der Senſation bei Buffons, Condillacs und Bonnets empfindendem Menſchen ſind Abſtrak- tionen: der Philoſoph muß Einen Faden der Em- pfindung liegen laſſen, indem er den andern ver- folgt — in der Natur aber ſind alle die Faͤden Ein Gewebe! — je dunkler nun die Sinne ſind, deſto mehr fließen ſie in einander; und je ungeuͤbter, je weniger man noch gelernet hat, einen ohne den andern zu brauchen, mit Adreſſe und Deutlichkeit
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Seele gelaͤufig handelt! Wir waͤren alle, fuͤr ein
blos vernuͤnftiges Weſen, jener Gattung von Ver-
ruͤkten aͤhnlich, die klug denken, aber ſehr unbe-
greiflich und albern verbinden!
Bei ſinnlichen Geſchoͤpfen, die durch viele ver-
ſchiedne Sinne auf Einmal empfinden, iſt dieſe
Verſammlung von Jdeen unvermeidlich; denn
was ſind alle Sinne anders, als bloße Vorſtel-
lungsarten Einer poſitiven Kraft der Seele? Wir
unterſcheiden ſie; aber wieder nur durch Sinne;
alſo Vorſtellungsarten durch Vorſtellungsarten.
Wir lernen mit vieler Muͤhe ſie im Gebrauche
trennen — in einem gewiſſen Grunde aber wuͤr-
ken ſie noch immer zuſammen. Alle Zergliederun-
gen der Senſation bei Buffons, Condillacs und
Bonnets empfindendem Menſchen ſind Abſtrak-
tionen: der Philoſoph muß Einen Faden der Em-
pfindung liegen laſſen, indem er den andern ver-
folgt — in der Natur aber ſind alle die Faͤden Ein
Gewebe! — je dunkler nun die Sinne ſind, deſto
mehr fließen ſie in einander; und je ungeuͤbter, je
weniger man noch gelernet hat, einen ohne den
andern zu brauchen, mit Adreſſe und Deutlichkeit
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/102>, abgerufen am 22.07.2024.
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