lens und Fühlens zusammengenommen, eine vollständige Einteilung ergeben; es muß also auch die Wünsche, die Triebe, und jede Sehnsucht mit
umfassen, indem man dies alles nicht zu den Gefühlen, noch zu den
Vorstellun- gen rechnen kann. Nun findet sich aber in den Psychologie- en
die Behauptung: was man begehre, das werde als er- reichbar vorgestellt; die
Meinung des Nicht-Könnens tödte das Begehren. Dieser Satz ist richtig vom Wollen, wel- ches eben ein Begehren,
verbunden mit der Vor- aussetzung der Erfüllung ist. Darum ist ein großer
Unterschied zwischen starkem Wollen und starkem Begehren. Napoleon wollte als Kaiser, und begehrte auf St.
He- lena. Der Ausdruck Begehren wird wider die Absicht
beschränkt, wenn man die Wünsche ausschließt, welche blei- ben, ungeachtet
dessen, daß sie leere, oder vielleicht soge- nannte fromme Wünsche seyn mögen, und welche eben
darum, weil sie bleiben, den Menschen stets von neuem zu Versuchen
antreiben, durch welche der Gedanke einer Möglichkeit immer neu erzeugt wird, trotz allen Grün- den, welche die Unmöglichkeit
darzuthun scheinen. Es gehört sehr viel dazu, der Vorstellung von der
Unerreichbarkeit des Gewünschten Stärke genug zu geben,
damit eine ruhige Verzichtleistung an die Stelle des Verlangens trete. Der Mensch erträumt sich eine wünschenswerthe Zukunft, wenn er schon weiß, sie werde
nie eintreten.
108. Gemäß der zuvor gemachten Eintheilung der Gefühle, müssen wir nun auch bey
den Begierden (das Wort im weitesten Sinne genommen) diejenigen, welche ein
Angenehmes als solches (die Verabscheuungen ein Unange- nehmes als
solches), zum Gegenstande haben, unterscheiden von andern, denen kein Gefühl,
sondern bloß die eben vor- handene Gemüthslage ihre Richtung bestimmt.
Anmerkung. Gewöhnlich wird die letztere Art der
lens und Fühlens zusammengenommen, eine vollständige Einteilung ergeben; es muß also auch die Wünsche, die Triebe, und jede Sehnsucht mit
umfassen, indem man dies alles nicht zu den Gefühlen, noch zu den
Vorstellun- gen rechnen kann. Nun findet sich aber in den Psychologie- en
die Behauptung: was man begehre, das werde als er- reichbar vorgestellt; die
Meinung des Nicht-Könnens tödte das Begehren. Dieser Satz ist richtig vom Wollen, wel- ches eben ein Begehren,
verbunden mit der Vor- aussetzung der Erfüllung ist. Darum ist ein großer
Unterschied zwischen starkem Wollen und starkem Begehren. Napoleon wollte als Kaiser, und begehrte auf St.
He- lena. Der Ausdruck Begehren wird wider die Absicht
beschränkt, wenn man die Wünsche ausschließt, welche blei- ben, ungeachtet
dessen, daß sie leere, oder vielleicht soge- nannte fromme Wünsche seyn mögen, und welche eben
darum, weil sie bleiben, den Menschen stets von neuem zu Versuchen
antreiben, durch welche der Gedanke einer Möglichkeit immer neu erzeugt wird, trotz allen Grün- den, welche die Unmöglichkeit
darzuthun scheinen. Es gehört sehr viel dazu, der Vorstellung von der
Unerreichbarkeit des Gewünschten Stärke genug zu geben,
damit eine ruhige Verzichtleistung an die Stelle des Verlangens trete. Der Mensch erträumt sich eine wünschenswerthe Zukunft, wenn er schon weiß, sie werde
nie eintreten.
108. Gemäß der zuvor gemachten Eintheilung der Gefühle, müssen wir nun auch bey
den Begierden (das Wort im weitesten Sinne genommen) diejenigen, welche ein
Angenehmes als solches (die Verabscheuungen ein Unange- nehmes als
solches), zum Gegenstande haben, unterscheiden von andern, denen kein Gefühl,
sondern bloß die eben vor- handene Gemüthslage ihre Richtung bestimmt.
Anmerkung. Gewöhnlich wird die letztere Art der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0093"n="85"/>
lens und Fühlens zusammengenommen, eine vollständige<lb/>
Einteilung ergeben; es muß also auch die <hirendition="#g">Wünsche</hi>, die<lb/><hirendition="#g">Triebe</hi>, und jede <hirendition="#g">Sehnsucht</hi> mit
umfassen, indem man<lb/>
dies alles nicht zu den Gefühlen, noch zu den
Vorstellun-<lb/>
gen rechnen kann. Nun findet sich aber in den Psychologie-<lb/>
en
die Behauptung: was man begehre, das werde als er-<lb/>
reichbar vorgestellt; die
Meinung des Nicht-Könnens tödte<lb/>
das Begehren. Dieser Satz ist richtig vom <hirendition="#g">Wollen</hi>, wel-<lb/>
ches eben ein <hirendition="#g">Begehren,
verbunden mit der Vor-<lb/>
aussetzung der Erfüllung</hi> ist. Darum ist ein großer<lb/>
Unterschied zwischen starkem Wollen und starkem Begehren.<lb/>
Napoleon <hirendition="#g">wollte</hi> als Kaiser, und <hirendition="#g">begehrte</hi> auf St.
He-<lb/>
lena. Der Ausdruck <hirendition="#g">Begehren</hi> wird wider die Absicht<lb/>
beschränkt, wenn man die Wünsche ausschließt, welche blei-<lb/>
ben, ungeachtet
dessen, daß sie <hirendition="#g">leere</hi>, oder vielleicht soge-<lb/>
nannte <hirendition="#g">fromme Wünsche</hi> seyn mögen, und welche <hirendition="#g">eben<lb/>
darum</hi>, weil sie bleiben, den Menschen stets von neuem<lb/>
zu Versuchen
antreiben, durch welche der Gedanke einer<lb/>
Möglichkeit immer <hirendition="#g">neu erzeugt</hi> wird, trotz allen Grün-<lb/>
den, welche die Unmöglichkeit
darzuthun scheinen. Es gehört<lb/>
sehr viel dazu, der Vorstellung von der
Unerreichbarkeit des<lb/>
Gewünschten <hirendition="#g">Stärke genug</hi> zu geben,
damit eine ruhige<lb/>
Verzichtleistung an die Stelle des Verlangens trete. Der<lb/>
Mensch erträumt sich eine wünschenswerthe Zukunft, wenn<lb/>
er schon weiß, sie werde
nie eintreten.</p><lb/><p>108. Gemäß der zuvor gemachten Eintheilung der<lb/>
Gefühle, müssen wir nun auch bey
den Begierden (das<lb/>
Wort im weitesten Sinne genommen) diejenigen, welche ein<lb/>
Angenehmes als solches (die Verabscheuungen ein Unange-<lb/>
nehmes als
solches), zum Gegenstande haben, unterscheiden<lb/>
von andern, denen kein Gefühl,
sondern bloß die eben vor-<lb/>
handene Gemüthslage ihre Richtung bestimmt.</p><lb/><p><hirendition="#g">Anmerkung</hi>. Gewöhnlich wird die letztere Art der<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[85/0093]
lens und Fühlens zusammengenommen, eine vollständige
Einteilung ergeben; es muß also auch die Wünsche, die
Triebe, und jede Sehnsucht mit umfassen, indem man
dies alles nicht zu den Gefühlen, noch zu den Vorstellun-
gen rechnen kann. Nun findet sich aber in den Psychologie-
en die Behauptung: was man begehre, das werde als er-
reichbar vorgestellt; die Meinung des Nicht-Könnens tödte
das Begehren. Dieser Satz ist richtig vom Wollen, wel-
ches eben ein Begehren, verbunden mit der Vor-
aussetzung der Erfüllung ist. Darum ist ein großer
Unterschied zwischen starkem Wollen und starkem Begehren.
Napoleon wollte als Kaiser, und begehrte auf St. He-
lena. Der Ausdruck Begehren wird wider die Absicht
beschränkt, wenn man die Wünsche ausschließt, welche blei-
ben, ungeachtet dessen, daß sie leere, oder vielleicht soge-
nannte fromme Wünsche seyn mögen, und welche eben
darum, weil sie bleiben, den Menschen stets von neuem
zu Versuchen antreiben, durch welche der Gedanke einer
Möglichkeit immer neu erzeugt wird, trotz allen Grün-
den, welche die Unmöglichkeit darzuthun scheinen. Es gehört
sehr viel dazu, der Vorstellung von der Unerreichbarkeit des
Gewünschten Stärke genug zu geben, damit eine ruhige
Verzichtleistung an die Stelle des Verlangens trete. Der
Mensch erträumt sich eine wünschenswerthe Zukunft, wenn
er schon weiß, sie werde nie eintreten.
108. Gemäß der zuvor gemachten Eintheilung der
Gefühle, müssen wir nun auch bey den Begierden (das
Wort im weitesten Sinne genommen) diejenigen, welche ein
Angenehmes als solches (die Verabscheuungen ein Unange-
nehmes als solches), zum Gegenstande haben, unterscheiden
von andern, denen kein Gefühl, sondern bloß die eben vor-
handene Gemüthslage ihre Richtung bestimmt.
Anmerkung. Gewöhnlich wird die letztere Art der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/93>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.