Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.
Gefühle also die Zustände seyen, die man
von den 97. Wie nun die Thatsachen, die wir Gefühle nennen, 98. Wir werden, um wenigstens Einen vesten Schei-
Gefühle also die Zustände seyen, die man
von den 97. Wie nun die Thatsachen, die wir Gefühle nennen, 98. Wir werden, um wenigstens Einen vesten Schei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0085" n="77"/> Gefühle</hi> also die Zustände seyen, <hi rendition="#g">die man von den<lb/> Gegenständen erwarte?</hi> — Bey andern Autoren sieht<lb/> es in diesem wichtigen Puncte eben nicht besser aus. Eine<lb/> vortreffliche Bemerkung Lockes, in dem Werke über den<lb/> menschlichen Verstand (II, 21, §. 35), hatte man benutzen<lb/> sollen; sie erschöpft zwar den Gegenstand nicht, führt aber<lb/> auf den rechten Weg, und zeigt, daß viele Begierden (wenn<lb/> schon nicht alle) unabhängig sind von Gefühlen, wiewohl<lb/> sie deren in ihrem Gefolge haben können. Was Locke Un-<lb/> zufriedenheit nennt, ist kein Gefühl sondern die erste Re-<lb/> gung der Begierde selbst.</p><lb/> <p>97. Wie nun die Thatsachen, die wir Gefühle nennen,<lb/> sich nur äußerst schwer von denjenigen absondern lassen, die<lb/> man als Begehrungen und Verabscheuungen kennt, so auch<lb/> ist es ein sehr unsicheres Unternehmen, die Arten der Ge-<lb/> fühle aufzuzählen. Dreyerley ragt hervor: sinnliches Wohl-<lb/> seyn und Schmerz; Gefühl fürs Schöne und Häßliche (wo-<lb/> bey noch des Erhabenen und des Kleinlichen zu gedenken<lb/> ist); und die Affecten, die man wenigstens jetzt gewohnt ist<lb/> bey den Gefühlen abzuhandeln. Aber damit ist der Gegen-<lb/> stand nicht erschöpft. Zuvörderst muß bemerkt werden, daß<lb/> die Gefühle sich verdoppeln in der Theilnahme an dem, was<lb/> Andre fühlen. Dann, daß jede Art von äußerer und inne-<lb/> rer Thätigkeit, je nachdem sie gelingt oder mißlingt (das<lb/> heißt, je nachdem das in Thätigkeit liegende Begehren be-<lb/> friedigt wird oder nicht), ein Wohlseyn oder Misbehagen<lb/> mit sich führt. Ferner, daß die Gefühle sich mannigfaltig<lb/> vermischen (ein streitiger Punkt, so wie der folgende).<lb/> Endlich, daß es Gefühls-Zustände giebt, die, wenn nicht<lb/><hi rendition="#g">gleichgültig</hi>, doch so beschaffen sind, das an ihnen das<lb/> Behagliche oder Unbehagliche <hi rendition="#g">nicht charakteristisch</hi> ist<lb/> und ihre Stärke nicht darnach gemessen werden kann.</p><lb/> <p>98. Wir werden, um wenigstens Einen vesten Schei-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0085]
Gefühle also die Zustände seyen, die man von den
Gegenständen erwarte? — Bey andern Autoren sieht
es in diesem wichtigen Puncte eben nicht besser aus. Eine
vortreffliche Bemerkung Lockes, in dem Werke über den
menschlichen Verstand (II, 21, §. 35), hatte man benutzen
sollen; sie erschöpft zwar den Gegenstand nicht, führt aber
auf den rechten Weg, und zeigt, daß viele Begierden (wenn
schon nicht alle) unabhängig sind von Gefühlen, wiewohl
sie deren in ihrem Gefolge haben können. Was Locke Un-
zufriedenheit nennt, ist kein Gefühl sondern die erste Re-
gung der Begierde selbst.
97. Wie nun die Thatsachen, die wir Gefühle nennen,
sich nur äußerst schwer von denjenigen absondern lassen, die
man als Begehrungen und Verabscheuungen kennt, so auch
ist es ein sehr unsicheres Unternehmen, die Arten der Ge-
fühle aufzuzählen. Dreyerley ragt hervor: sinnliches Wohl-
seyn und Schmerz; Gefühl fürs Schöne und Häßliche (wo-
bey noch des Erhabenen und des Kleinlichen zu gedenken
ist); und die Affecten, die man wenigstens jetzt gewohnt ist
bey den Gefühlen abzuhandeln. Aber damit ist der Gegen-
stand nicht erschöpft. Zuvörderst muß bemerkt werden, daß
die Gefühle sich verdoppeln in der Theilnahme an dem, was
Andre fühlen. Dann, daß jede Art von äußerer und inne-
rer Thätigkeit, je nachdem sie gelingt oder mißlingt (das
heißt, je nachdem das in Thätigkeit liegende Begehren be-
friedigt wird oder nicht), ein Wohlseyn oder Misbehagen
mit sich führt. Ferner, daß die Gefühle sich mannigfaltig
vermischen (ein streitiger Punkt, so wie der folgende).
Endlich, daß es Gefühls-Zustände giebt, die, wenn nicht
gleichgültig, doch so beschaffen sind, das an ihnen das
Behagliche oder Unbehagliche nicht charakteristisch ist
und ihre Stärke nicht darnach gemessen werden kann.
98. Wir werden, um wenigstens Einen vesten Schei-
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