nur den Schnee übrig ließ. Die Schlußsätze: dieser Kuchen
ist nicht eßbar, er wird schmelzen, sind von ähnlicher
Art; die Prädicate kommen auch hier von/innen. Umge- kehrt verhält es
sich, wenn Derjenige, der bisher gewohnt war, die Hunde frey laufen zu sehn,
zum ersten Male sieht und urtheilt, der Hund fahre eine Waare zu Markte. An dem von Pferden gezogenen Wagen würde er vorüber- gegangen seyn, ohne zu
urtheilen.
Die Wölbung spannt, die Zuspitzung befriedigt; daher eine Lust am
Beurtheilen, und daher voreilige Urtheile und Geschwätz. Dies schadet der
Beobachtung sowohl als dem Denken. Der Beobachter würde mehr bemerkt haben; er
wäre nicht durch einerley Zuspitzung befriedigt davon gegangen. Beym
Denker wäre die Wölbung vollständiger, und mehr aus der Tiefe gekommen. Auch
der Gestaltung schadet die Lust am Urtheilen. Kritische Köpfe sind selten
producirende.
Der Beobachter geht von einer Wölbung zur andern successiv; er bildet Reihen von Urtheilen. Das bloße Anschauen trennt die
Prädicate nicht; es ist minder scharf; weil die
Wölbung mangelhaft war, ist es auch die Zu- spitzung. Häufig folgt darauf
untreues Wiedererzählen. Hieben. wirkt die Sprache mit, durch Vieldeutigkeit
der Worte; wofern derselben nicht eine beständige Berichtigung entgegenstrebt.
83. Die Schlüsse betrachtet die Logik als
Fort- schreitungen des Denkens. Allein hiebei bringen sich so- gleich zwei
Bemerkungen auf:
a) Setzt selten wird in gewöhnlicher Sprache eine Fortschreitung in der Form
des Syllogismus ausführlich dargestellt; vielmehr hat der letztere fal allemal
etwas Lang- weiliges, wenn er nicht verkürzt, als Enthymen" erscheint. Dies ist keinesweges ein Tadel für den Syllogismus (wo- für es oft gehalten
wird), sondern nur eine Erinnerung, daß
nur den Schnee übrig ließ. Die Schlußsätze: dieser Kuchen
ist nicht eßbar, er wird schmelzen, sind von ähnlicher
Art; die Prädicate kommen auch hier von/innen. Umge- kehrt verhält es
sich, wenn Derjenige, der bisher gewohnt war, die Hunde frey laufen zu sehn,
zum ersten Male sieht und urtheilt, der Hund fahre eine Waare zu Markte. An dem von Pferden gezogenen Wagen würde er vorüber- gegangen seyn, ohne zu
urtheilen.
Die Wölbung spannt, die Zuspitzung befriedigt; daher eine Lust am
Beurtheilen, und daher voreilige Urtheile und Geschwätz. Dies schadet der
Beobachtung sowohl als dem Denken. Der Beobachter würde mehr bemerkt haben; er
wäre nicht durch einerley Zuspitzung befriedigt davon gegangen. Beym
Denker wäre die Wölbung vollständiger, und mehr aus der Tiefe gekommen. Auch
der Gestaltung schadet die Lust am Urtheilen. Kritische Köpfe sind selten
producirende.
Der Beobachter geht von einer Wölbung zur andern successiv; er bildet Reihen von Urtheilen. Das bloße Anschauen trennt die
Prädicate nicht; es ist minder scharf; weil die
Wölbung mangelhaft war, ist es auch die Zu- spitzung. Häufig folgt darauf
untreues Wiedererzählen. Hieben. wirkt die Sprache mit, durch Vieldeutigkeit
der Worte; wofern derselben nicht eine beständige Berichtigung entgegenstrebt.
83. Die Schlüsse betrachtet die Logik als
Fort- schreitungen des Denkens. Allein hiebei bringen sich so- gleich zwei
Bemerkungen auf:
a) Setzt selten wird in gewöhnlicher Sprache eine Fortschreitung in der Form
des Syllogismus ausführlich dargestellt; vielmehr hat der letztere fal allemal
etwas Lang- weiliges, wenn er nicht verkürzt, als Enthymen» erscheint. Dies ist keinesweges ein Tadel für den Syllogismus (wo- für es oft gehalten
wird), sondern nur eine Erinnerung, daß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0076"n="68"/>
nur den Schnee übrig ließ. Die Schlußsätze: dieser Kuchen<lb/>
ist nicht eßbar, er wird <hirendition="#g">schmelzen</hi>, sind von ähnlicher<lb/>
Art; die Prädicate kommen auch hier von/innen. Umge-<lb/>
kehrt verhält es
sich, wenn Derjenige, der bisher gewohnt<lb/>
war, die Hunde frey laufen zu sehn,
zum ersten Male sieht<lb/>
und urtheilt, der Hund fahre eine Waare zu Markte.<lb/>
An dem von Pferden gezogenen Wagen würde er vorüber-<lb/>
gegangen seyn, ohne zu
urtheilen.</p><p>Die Wölbung spannt, die Zuspitzung befriedigt; daher<lb/>
eine Lust am
Beurtheilen, und daher voreilige Urtheile und<lb/>
Geschwätz. Dies schadet der
Beobachtung sowohl als dem<lb/>
Denken. Der Beobachter würde mehr bemerkt haben; er<lb/>
wäre nicht durch einerley Zuspitzung befriedigt davon gegangen.<lb/>
Beym
Denker wäre die Wölbung vollständiger, und mehr<lb/>
aus der Tiefe gekommen. Auch
der Gestaltung schadet die<lb/>
Lust am Urtheilen. Kritische Köpfe sind selten
producirende.</p><lb/><p>Der Beobachter geht von einer Wölbung zur andern<lb/>
successiv; er bildet <hirendition="#g">Reihen von Urtheilen</hi>. Das bloße<lb/>
Anschauen trennt die
Prädicate nicht; es ist minder <hirendition="#g">scharf</hi>;<lb/>
weil die
Wölbung mangelhaft war, ist es auch die Zu-<lb/>
spitzung. Häufig folgt darauf
untreues Wiedererzählen.<lb/>
Hieben. wirkt die Sprache mit, durch Vieldeutigkeit
der<lb/>
Worte; wofern derselben nicht eine beständige Berichtigung<lb/>
entgegenstrebt.</p><lb/><p>83. Die <hirendition="#g">Schlüsse</hi> betrachtet die Logik als
Fort-<lb/>
schreitungen des Denkens. Allein hiebei bringen sich so-<lb/>
gleich zwei
Bemerkungen auf: </p><lb/><p>a) Setzt selten wird in gewöhnlicher Sprache eine<lb/>
Fortschreitung in der Form
des Syllogismus ausführlich<lb/>
dargestellt; vielmehr hat der letztere fal allemal
etwas Lang-<lb/>
weiliges, wenn er nicht verkürzt, als Enthymen» erscheint.<lb/>
Dies ist keinesweges ein Tadel für den Syllogismus (wo-<lb/>
für es oft gehalten
wird), sondern nur eine Erinnerung, daß<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[68/0076]
nur den Schnee übrig ließ. Die Schlußsätze: dieser Kuchen
ist nicht eßbar, er wird schmelzen, sind von ähnlicher
Art; die Prädicate kommen auch hier von/innen. Umge-
kehrt verhält es sich, wenn Derjenige, der bisher gewohnt
war, die Hunde frey laufen zu sehn, zum ersten Male sieht
und urtheilt, der Hund fahre eine Waare zu Markte.
An dem von Pferden gezogenen Wagen würde er vorüber-
gegangen seyn, ohne zu urtheilen.
Die Wölbung spannt, die Zuspitzung befriedigt; daher
eine Lust am Beurtheilen, und daher voreilige Urtheile und
Geschwätz. Dies schadet der Beobachtung sowohl als dem
Denken. Der Beobachter würde mehr bemerkt haben; er
wäre nicht durch einerley Zuspitzung befriedigt davon gegangen.
Beym Denker wäre die Wölbung vollständiger, und mehr
aus der Tiefe gekommen. Auch der Gestaltung schadet die
Lust am Urtheilen. Kritische Köpfe sind selten producirende.
Der Beobachter geht von einer Wölbung zur andern
successiv; er bildet Reihen von Urtheilen. Das bloße
Anschauen trennt die Prädicate nicht; es ist minder scharf;
weil die Wölbung mangelhaft war, ist es auch die Zu-
spitzung. Häufig folgt darauf untreues Wiedererzählen.
Hieben. wirkt die Sprache mit, durch Vieldeutigkeit der
Worte; wofern derselben nicht eine beständige Berichtigung
entgegenstrebt.
83. Die Schlüsse betrachtet die Logik als Fort-
schreitungen des Denkens. Allein hiebei bringen sich so-
gleich zwei Bemerkungen auf:
a) Setzt selten wird in gewöhnlicher Sprache eine
Fortschreitung in der Form des Syllogismus ausführlich
dargestellt; vielmehr hat der letztere fal allemal etwas Lang-
weiliges, wenn er nicht verkürzt, als Enthymen» erscheint.
Dies ist keinesweges ein Tadel für den Syllogismus (wo-
für es oft gehalten wird), sondern nur eine Erinnerung, daß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/76>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.