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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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alles menschliche Denken sey ein geheimes Urtheilen. Als
sichere Thatsache zeigt sich das Urtheilen nur im Sprechen;
gar vieles aber denkt der Mensch, das er nicht ausspre-
chen kann.

b) Auf die Entwickelung der menschlichen Gedanken
in ausgesprochenen Urtheilen hat großen Einfluß seine Nei-
gung, sich Andern mitzutheilen. Vielleicht gilt dieses auch
rückwärts: der verschlossene Mensch mag derjenige seyn, des-
sen Vorstellungen sich nicht leicht in die Form der Urtheile
fügen. -- Man sieht bei Kindern schon sehr auffallende
Unterschiede der Redseligkeit und Zurückhaltung, auch wenn
die letztere nicht aus Scheu oder Trägheit entspringt.

c) Das Aussprechen ist oft Bedürfniß, und gewährt
Erleichterung. Das Urtheilen hängt hier mit Trieben und
Gefühlen zusammen.

d) Eine Hauptart der Urtheile, worin sich Subject
und Prädicat vorzüglich scharf getrennt zeigen, sind die Be-
urtheilungen
, die ein Vorziehen und Verwerfen aus-
drücken. Der Hang zu diesen ist so groß, daß der Mensch
gern an Vorbedeutungen glaubt, d. h. daß er jedes Ereig-
niß als drohend oder glückverkündend zu betrachten geneigt
ist. Und aus den wiederholten Versuchen der Philosophen,
Gutes und Schlimmes auf Bejahung und Verneinung zu-
rückzuführen, läßt sich errathen: daß zwischen dem Urthei-
len auf der einen, dem Begehren und Verabscheuen auf der
andern Seite, zwar kein in der Natur außer uns gegrün-
deter, aber doch ein psychologischer Zusammenhang Statt
finden müsse.

e) Eine andre Hauptart von Urtheilen, in welchen
ebenfalls der Unterschied und die Zusammenfügung der bey-
den Bestandtheile sehr merklich wird, bietet sich dar in den
Anknüpfungen des Neuen an das Bekannte. Entweder das
Bekannte ist hier das Subject, und das Neue macht das

alles menschliche Denken sey ein geheimes Urtheilen. Als
sichere Thatsache zeigt sich das Urtheilen nur im Sprechen;
gar vieles aber denkt der Mensch, das er nicht ausspre-
chen kann.

b) Auf die Entwickelung der menschlichen Gedanken
in ausgesprochenen Urtheilen hat großen Einfluß seine Nei-
gung, sich Andern mitzutheilen. Vielleicht gilt dieses auch
rückwärts: der verschlossene Mensch mag derjenige seyn, des-
sen Vorstellungen sich nicht leicht in die Form der Urtheile
fügen. — Man sieht bei Kindern schon sehr auffallende
Unterschiede der Redseligkeit und Zurückhaltung, auch wenn
die letztere nicht aus Scheu oder Trägheit entspringt.

c) Das Aussprechen ist oft Bedürfniß, und gewährt
Erleichterung. Das Urtheilen hängt hier mit Trieben und
Gefühlen zusammen.

d) Eine Hauptart der Urtheile, worin sich Subject
und Prädicat vorzüglich scharf getrennt zeigen, sind die Be-
urtheilungen
, die ein Vorziehen und Verwerfen aus-
drücken. Der Hang zu diesen ist so groß, daß der Mensch
gern an Vorbedeutungen glaubt, d. h. daß er jedes Ereig-
niß als drohend oder glückverkündend zu betrachten geneigt
ist. Und aus den wiederholten Versuchen der Philosophen,
Gutes und Schlimmes auf Bejahung und Verneinung zu-
rückzuführen, läßt sich errathen: daß zwischen dem Urthei-
len auf der einen, dem Begehren und Verabscheuen auf der
andern Seite, zwar kein in der Natur außer uns gegrün-
deter, aber doch ein psychologischer Zusammenhang Statt
finden müsse.

e) Eine andre Hauptart von Urtheilen, in welchen
ebenfalls der Unterschied und die Zusammenfügung der bey-
den Bestandtheile sehr merklich wird, bietet sich dar in den
Anknüpfungen des Neuen an das Bekannte. Entweder das
Bekannte ist hier das Subject, und das Neue macht das

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[66/0074] alles menschliche Denken sey ein geheimes Urtheilen. Als sichere Thatsache zeigt sich das Urtheilen nur im Sprechen; gar vieles aber denkt der Mensch, das er nicht ausspre- chen kann. b) Auf die Entwickelung der menschlichen Gedanken in ausgesprochenen Urtheilen hat großen Einfluß seine Nei- gung, sich Andern mitzutheilen. Vielleicht gilt dieses auch rückwärts: der verschlossene Mensch mag derjenige seyn, des- sen Vorstellungen sich nicht leicht in die Form der Urtheile fügen. — Man sieht bei Kindern schon sehr auffallende Unterschiede der Redseligkeit und Zurückhaltung, auch wenn die letztere nicht aus Scheu oder Trägheit entspringt. c) Das Aussprechen ist oft Bedürfniß, und gewährt Erleichterung. Das Urtheilen hängt hier mit Trieben und Gefühlen zusammen. d) Eine Hauptart der Urtheile, worin sich Subject und Prädicat vorzüglich scharf getrennt zeigen, sind die Be- urtheilungen, die ein Vorziehen und Verwerfen aus- drücken. Der Hang zu diesen ist so groß, daß der Mensch gern an Vorbedeutungen glaubt, d. h. daß er jedes Ereig- niß als drohend oder glückverkündend zu betrachten geneigt ist. Und aus den wiederholten Versuchen der Philosophen, Gutes und Schlimmes auf Bejahung und Verneinung zu- rückzuführen, läßt sich errathen: daß zwischen dem Urthei- len auf der einen, dem Begehren und Verabscheuen auf der andern Seite, zwar kein in der Natur außer uns gegrün- deter, aber doch ein psychologischer Zusammenhang Statt finden müsse. e) Eine andre Hauptart von Urtheilen, in welchen ebenfalls der Unterschied und die Zusammenfügung der bey- den Bestandtheile sehr merklich wird, bietet sich dar in den Anknüpfungen des Neuen an das Bekannte. Entweder das Bekannte ist hier das Subject, und das Neue macht das

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/74>, abgerufen am 22.11.2024.