des Routiniers, verglichen mit der in allen Theilen
gleich- mäßig ausgearbeiteten Kenntniß des wahren Gelehrten. Die letztere
ist ohne Zweisel ein Werk fortschreitender Aufmerk- samkeit.
63. Kant ist in Ansehung dee Grenze zwischen den untern und obern Vermögen von
dem Grundgedanken ge- leitet worden: "Die Verbindung eines Mannigfaltigen
über- haupt könne niemals durch die Sinne in uns kommen; alle Verbindung
sey ein Actus der Spontaneität der Vorstellungs- kraft, die man zum Unterschiede
von der Sinnlichkeit Ver- stand nennen müsse."*) Diese, sehr scheinbare, Behaup- tung
ist ihrer Natur nach speculativ (sie veranlaßt die im Lehrbuche zur Einleitung
in die Philosophie aufgestellte hö- here Skepsis; man
sehe daselbst §. 22--29, aber auch ebendaselhst §. 98 -- 103). Es ist ein großes
Verdienst Kants um die Speculation, diesen Gedanken mit Nachdruck hervorgehoben zu haben, aber die höchst wichtigen, von hier ausgehenden
Untersuchungen hat er nur angefangen, keines- weges vollendet; und so nothwendig
dieselben in der Grund- lage zur allgemeinen Metaphysik immerdar ihren Platz
be- halten müssen, eben so nothwendig muß alles, der. Kanti- schen
Behauptung ähnliche, aus den Lehrsätzen der Psycho- logie völlig wieder
verschwinden. Denn das Ende der Un- tersuchung ist gerade das Gegentheil dessen,
wohin ihr An- fang zu weisen scheint. Die Verbindung des Mannigfalti- gen
geschieht gar nicht durch irgend etwas, das man einen Actus nennen könnte, am
wenigsten durch einen Act der Spontaneität; -- sie ist der unmittelbare Erfolg
der Ein- heit der Seele. Die Verbindung des Mannigfaltigen rich- tet sich
ferner allemal nach der Art und Weise, wie die sinn- lichen Eindrücke
zusammentreffen, -- sie ist gegeben, wie
*) Kritik
der reinen Vernunft, §. 15.
des Routiniers, verglichen mit der in allen Theilen
gleich- mäßig ausgearbeiteten Kenntniß des wahren Gelehrten. Die letztere
ist ohne Zweisel ein Werk fortschreitender Aufmerk- samkeit.
63. Kant ist in Ansehung dee Grenze zwischen den untern und obern Vermögen von
dem Grundgedanken ge- leitet worden: „Die Verbindung eines Mannigfaltigen
über- haupt könne niemals durch die Sinne in uns kommen; alle Verbindung
sey ein Actus der Spontaneität der Vorstellungs- kraft, die man zum Unterschiede
von der Sinnlichkeit Ver- stand nennen müsse.“*) Diese, sehr scheinbare, Behaup- tung
ist ihrer Natur nach speculativ (sie veranlaßt die im Lehrbuche zur Einleitung
in die Philosophie aufgestellte hö- here Skepsis; man
sehe daselbst §. 22—29, aber auch ebendaselhst §. 98 — 103). Es ist ein großes
Verdienst Kants um die Speculation, diesen Gedanken mit Nachdruck hervorgehoben zu haben, aber die höchst wichtigen, von hier ausgehenden
Untersuchungen hat er nur angefangen, keines- weges vollendet; und so nothwendig
dieselben in der Grund- lage zur allgemeinen Metaphysik immerdar ihren Platz
be- halten müssen, eben so nothwendig muß alles, der. Kanti- schen
Behauptung ähnliche, aus den Lehrsätzen der Psycho- logie völlig wieder
verschwinden. Denn das Ende der Un- tersuchung ist gerade das Gegentheil dessen,
wohin ihr An- fang zu weisen scheint. Die Verbindung des Mannigfalti- gen
geschieht gar nicht durch irgend etwas, das man einen Actus nennen könnte, am
wenigsten durch einen Act der Spontaneität; — sie ist der unmittelbare Erfolg
der Ein- heit der Seele. Die Verbindung des Mannigfaltigen rich- tet sich
ferner allemal nach der Art und Weise, wie die sinn- lichen Eindrücke
zusammentreffen, — sie ist gegeben, wie
*) Kritik
der reinen Vernunft, §. 15.
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des Routiniers, verglichen mit der in allen Theilen gleich-
mäßig ausgearbeiteten Kenntniß des wahren Gelehrten. Die
letztere ist ohne Zweisel ein Werk fortschreitender Aufmerk-
samkeit.
63. Kant ist in Ansehung dee Grenze zwischen den
untern und obern Vermögen von dem Grundgedanken ge-
leitet worden: „Die Verbindung eines Mannigfaltigen über-
haupt könne niemals durch die Sinne in uns kommen; alle
Verbindung sey ein Actus der Spontaneität der Vorstellungs-
kraft, die man zum Unterschiede von der Sinnlichkeit Ver-
stand nennen müsse.“ *) Diese, sehr scheinbare, Behaup-
tung ist ihrer Natur nach speculativ (sie veranlaßt die im
Lehrbuche zur Einleitung in die Philosophie aufgestellte hö-
here Skepsis; man sehe daselbst §. 22—29, aber auch
ebendaselhst §. 98 — 103). Es ist ein großes Verdienst
Kants um die Speculation, diesen Gedanken mit Nachdruck
hervorgehoben zu haben, aber die höchst wichtigen, von hier
ausgehenden Untersuchungen hat er nur angefangen, keines-
weges vollendet; und so nothwendig dieselben in der Grund-
lage zur allgemeinen Metaphysik immerdar ihren Platz be-
halten müssen, eben so nothwendig muß alles, der. Kanti-
schen Behauptung ähnliche, aus den Lehrsätzen der Psycho-
logie völlig wieder verschwinden. Denn das Ende der Un-
tersuchung ist gerade das Gegentheil dessen, wohin ihr An-
fang zu weisen scheint. Die Verbindung des Mannigfalti-
gen geschieht gar nicht durch irgend etwas, das man einen
Actus nennen könnte, am wenigsten durch einen Act der
Spontaneität; — sie ist der unmittelbare Erfolg der Ein-
heit der Seele. Die Verbindung des Mannigfaltigen rich-
tet sich ferner allemal nach der Art und Weise, wie die sinn-
lichen Eindrücke zusammentreffen, — sie ist gegeben, wie
*) Kritik der reinen Vernunft, §. 15.
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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/58>, abgerufen am 27.07.2024.
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