Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.Anmerkung. Wenn man im gemeinen Leben sagen Anmerkung. Wenn man im gemeinen Leben sagen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0053" n="45"/><hi rendition="#g">Anmerkung</hi>. Wenn man im gemeinen Leben sagen<lb/> hört, der Eine habe mehr Verstand, der Andre mehr Ge-<lb/> dächtniß, ein Dritter mehr Phantasie, ein Vierter besitze<lb/> eine gesundere Urtheilskraft, — und daneben doch im Gan-<lb/> zen kein bestimmter Grad von größerer oder geringerer gei-<lb/> stiger Gesundheit dem Einen oder dem Andern kann beyge-<lb/> legt werden: so muß die Vermuthung entstehn, alle jene<lb/> Unterscheidung der sogenannten Seelenvermögen treffe mehr<lb/> die Producte der geistigen Thätigkeit als die innere, entwe-<lb/> der gesunde oder kranke Natur der letzteren. Von den Gei-<lb/> stes – Krankheiten werden tieser unten die erfahrungsmäßig<lb/> bekannten vier Hauptbegriffe: Blödsinn, Narrheit, Tobsucht<lb/> und Wahnsinn, näher bestimmt werden; es kann aber schon<lb/> hier nützlich seyn, aus ihren Gegentheilen: <hi rendition="#g">Reizbarkeit,<lb/> Sammlung, Ruhe, und gegenseitige Bestimm-<lb/> barkeit aller Vorstellungen durcheinander</hi>, den<lb/> Begriff der geistigen Gesundheit zusammenzusetzen; da ein<lb/> Mangel an irgend einem dieser vier Erfodernisse in der That<lb/> viel unmittelbarer eine Annäherung an Geisteskrankheit dar-<lb/> thut, als ein Mangel an Phantasie, oder Gedächtniß, oder<lb/> Verstand, u. s. w. Es beziehen sich aber die genannten<lb/> Erfodernisse deutlich genug auf die obige Grundlehre von<lb/> den Vorstellungen als Kräften, deren Beweglichkeit durch<lb/> die geringste Veränderung in der Stärke oder Verbindung<lb/> derselben eben so sichtbar ist als ihre Tendenz zum Ruhen<lb/> im Gleichgewicht; und bey welchen die Sammlung des<lb/> Gleichartigen und des schon in Verbindung Getretenen eben<lb/> so sehr als jede Art von möglicher gegenseitiger Bestim-<lb/> mung, durch die Reproductions -<lb/> Gesetze vollkommen gesichert ist, so lange nicht eine dem Geistigen fremde Gewalt von<lb/> Seiten des Leibes sich einmischt. Jedoch das Verhältniß<lb/> des Leibes zum Geiste kann nicht ohne Erwähnung einiger<lb/> naturphilosophischer Sätze näher erwogen werden, welch </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [45/0053]
Anmerkung. Wenn man im gemeinen Leben sagen
hört, der Eine habe mehr Verstand, der Andre mehr Ge-
dächtniß, ein Dritter mehr Phantasie, ein Vierter besitze
eine gesundere Urtheilskraft, — und daneben doch im Gan-
zen kein bestimmter Grad von größerer oder geringerer gei-
stiger Gesundheit dem Einen oder dem Andern kann beyge-
legt werden: so muß die Vermuthung entstehn, alle jene
Unterscheidung der sogenannten Seelenvermögen treffe mehr
die Producte der geistigen Thätigkeit als die innere, entwe-
der gesunde oder kranke Natur der letzteren. Von den Gei-
stes – Krankheiten werden tieser unten die erfahrungsmäßig
bekannten vier Hauptbegriffe: Blödsinn, Narrheit, Tobsucht
und Wahnsinn, näher bestimmt werden; es kann aber schon
hier nützlich seyn, aus ihren Gegentheilen: Reizbarkeit,
Sammlung, Ruhe, und gegenseitige Bestimm-
barkeit aller Vorstellungen durcheinander, den
Begriff der geistigen Gesundheit zusammenzusetzen; da ein
Mangel an irgend einem dieser vier Erfodernisse in der That
viel unmittelbarer eine Annäherung an Geisteskrankheit dar-
thut, als ein Mangel an Phantasie, oder Gedächtniß, oder
Verstand, u. s. w. Es beziehen sich aber die genannten
Erfodernisse deutlich genug auf die obige Grundlehre von
den Vorstellungen als Kräften, deren Beweglichkeit durch
die geringste Veränderung in der Stärke oder Verbindung
derselben eben so sichtbar ist als ihre Tendenz zum Ruhen
im Gleichgewicht; und bey welchen die Sammlung des
Gleichartigen und des schon in Verbindung Getretenen eben
so sehr als jede Art von möglicher gegenseitiger Bestim-
mung, durch die Reproductions -
Gesetze vollkommen gesichert ist, so lange nicht eine dem Geistigen fremde Gewalt von
Seiten des Leibes sich einmischt. Jedoch das Verhältniß
des Leibes zum Geiste kann nicht ohne Erwähnung einiger
naturphilosophischer Sätze näher erwogen werden, welch
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