Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sinkenden Vorstellungen sind die zugleich steigenden zu
betrachten, besonders wenn sie frey steigen, d.h. wenn eine
beengende Umgebung, oder ein allgemeiner Druck, auf ein-
mal verschwindet. Mit ihrem Steigen wachst alsdann ihre
Hemmungssumme; daher von dreyen eine gleichsam zurück-
gebogen wird und unter Umständen ganz wieder auf die
Schwelle sinkt. Der Punct, bis zu welchem sie steigen,
steht beträchtlich höher, als der, auf welchen sie zugleich
sinkend sich gegenseitig würden herabgedrückt haben; weil im
Sinken die Hemmungssumme von ihrer ganzen Stärke ab-
hangt, welches im allmähligen Steigen nicht der Fall ist *)



Drittes Capitel. Von den Complexionen und Verschmelzungen.

22. Der sehr leicht begreifliche metaphysische Grund,
weswegen entgegengesetzte Vorstellungen einander widerste-
hen, ist die Einheit der Seele, deren Selbsterhaltun-
gen sie sind **)
. Eben dieser Grund erklärt ohne Mühe
die Verbindung unserer Vorstellungen; die übrigens als
Thatsache bekannt ist. Alle Vorstellungen würden nur Einen
Act der Einen Seele ausmachen, wenn sie sich nicht ihrer
Gegensätze wegen hemmten, und sie machen wirklich
nur Einen Act aus, in wiesern sie nicht durch
irgend welche Hemmungen in ein Vieles gespal-

*) Psychologie I, §. 93. Die dortige Untersuchung ist noch sehr
unvollkommen, und läßt sich viel weiter führen.
**) Metaphysik II, §. 234; und Psychologie I, §. 57. Unter dem
Worte Psychologie wird hier und in folgenden Citaten das
größere Werk des Verfassers verstanden.

sinkenden Vorstellungen sind die zugleich steigenden zu
betrachten, besonders wenn sie frey steigen, d.h. wenn eine
beengende Umgebung, oder ein allgemeiner Druck, auf ein-
mal verschwindet. Mit ihrem Steigen wachst alsdann ihre
Hemmungssumme; daher von dreyen eine gleichsam zurück-
gebogen wird und unter Umständen ganz wieder auf die
Schwelle sinkt. Der Punct, bis zu welchem sie steigen,
steht beträchtlich höher, als der, auf welchen sie zugleich
sinkend sich gegenseitig würden herabgedrückt haben; weil im
Sinken die Hemmungssumme von ihrer ganzen Stärke ab-
hangt, welches im allmähligen Steigen nicht der Fall ist *)



Drittes Capitel. Von den Complexionen und Verschmelzungen.

22. Der sehr leicht begreifliche metaphysische Grund,
weswegen entgegengesetzte Vorstellungen einander widerste-
hen, ist die Einheit der Seele, deren Selbsterhaltun-
gen sie sind **)
. Eben dieser Grund erklärt ohne Mühe
die Verbindung unserer Vorstellungen; die übrigens als
Thatsache bekannt ist. Alle Vorstellungen würden nur Einen
Act der Einen Seele ausmachen, wenn sie sich nicht ihrer
Gegensätze wegen hemmten, und sie machen wirklich
nur Einen Act aus, in wiesern sie nicht durch
irgend welche Hemmungen in ein Vieles gespal-

*) Psychologie I, §. 93. Die dortige Untersuchung ist noch sehr
unvollkommen, und läßt sich viel weiter führen.
**) Metaphysik II, §. 234; und Psychologie I, §. 57. Unter dem
Worte Psychologie wird hier und in folgenden Citaten das
größere Werk des Verfassers verstanden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0024" n="16"/>
sinkenden Vorstellungen sind die <hi rendition="#g">zugleich
               steigenden</hi> zu<lb/>
betrachten, besonders wenn <hi rendition="#g">sie frey</hi> steigen, d.h. wenn eine<lb/>
beengende Umgebung, oder ein allgemeiner Druck, auf
             ein-<lb/>
mal verschwindet. Mit ihrem Steigen wachst alsdann ihre<lb/>
Hemmungssumme;
             daher von dreyen eine gleichsam zurück-<lb/>
gebogen wird und unter Umständen ganz
             wieder auf die<lb/>
Schwelle sinkt. Der Punct, bis zu welchem sie steigen,<lb/>
steht
             beträchtlich höher, als der, auf welchen sie zugleich<lb/>
sinkend sich gegenseitig
             würden herabgedrückt haben; weil im<lb/>
Sinken die Hemmungssumme von ihrer ganzen
             Stärke ab-<lb/>
hangt, welches im allmähligen Steigen nicht der Fall ist <note place="foot" n="*)">Psychologie I, §. 93. Die dortige Untersuchung ist noch sehr<lb/>
unvollkommen, und läßt sich viel weiter führen.</note><lb/></p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#g"><hi rendition="#b">Drittes Capitel.</hi> Von den Complexionen und
               Verschmelzungen.</hi> </head><lb/>
          <p>22. Der sehr leicht begreifliche metaphysische Grund,<lb/>
weswegen entgegengesetzte
             Vorstellungen einander widerste-<lb/>
hen, ist die Einheit der Seele, deren
             Selbsterhaltun-<lb/>
gen sie sind <note place="foot" n="**)">Metaphysik II, §. 234; und
               Psychologie I, §. 57. Unter dem<lb/>
Worte Psychologie wird hier und in folgenden
               Citaten das<lb/>
größere Werk des Verfassers verstanden.</note><lb/>
. Eben dieser
             Grund erklärt ohne Mühe<lb/>
die Verbindung unserer Vorstellungen; die übrigens als<lb/>
Thatsache bekannt ist. Alle Vorstellungen würden nur Einen<lb/>
Act der Einen
             Seele ausmachen, wenn sie sich nicht ihrer<lb/>
Gegensätze wegen hemmten, und sie
             machen wirklich<lb/>
nur Einen Act aus, in wiesern sie nicht durch<lb/>
irgend welche
             Hemmungen in ein Vieles gespal-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0024] sinkenden Vorstellungen sind die zugleich steigenden zu betrachten, besonders wenn sie frey steigen, d.h. wenn eine beengende Umgebung, oder ein allgemeiner Druck, auf ein- mal verschwindet. Mit ihrem Steigen wachst alsdann ihre Hemmungssumme; daher von dreyen eine gleichsam zurück- gebogen wird und unter Umständen ganz wieder auf die Schwelle sinkt. Der Punct, bis zu welchem sie steigen, steht beträchtlich höher, als der, auf welchen sie zugleich sinkend sich gegenseitig würden herabgedrückt haben; weil im Sinken die Hemmungssumme von ihrer ganzen Stärke ab- hangt, welches im allmähligen Steigen nicht der Fall ist *) Drittes Capitel. Von den Complexionen und Verschmelzungen. 22. Der sehr leicht begreifliche metaphysische Grund, weswegen entgegengesetzte Vorstellungen einander widerste- hen, ist die Einheit der Seele, deren Selbsterhaltun- gen sie sind **) . Eben dieser Grund erklärt ohne Mühe die Verbindung unserer Vorstellungen; die übrigens als Thatsache bekannt ist. Alle Vorstellungen würden nur Einen Act der Einen Seele ausmachen, wenn sie sich nicht ihrer Gegensätze wegen hemmten, und sie machen wirklich nur Einen Act aus, in wiesern sie nicht durch irgend welche Hemmungen in ein Vieles gespal- *) Psychologie I, §. 93. Die dortige Untersuchung ist noch sehr unvollkommen, und läßt sich viel weiter führen. **) Metaphysik II, §. 234; und Psychologie I, §. 57. Unter dem Worte Psychologie wird hier und in folgenden Citaten das größere Werk des Verfassers verstanden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/24
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/24>, abgerufen am 21.11.2024.