der Erde unter unsern Augen geschieht, den Typus eines allgemein-nothwendigen Naturlaufs entdecken könnte.
So gewiß es ist, daß keine Geschichte der bekannten Staaten und Nationen jemals
eine Weltgeschichte im eigentlichen Sinne, oder auch nur
Etwas damit in irgend einem angeblichen Verhältnisse Stehendes liefern kann; so
gewiß ferner keinerley Theorie davon mit einigem Schein der Wahrheit einen
Begriff zu geben vermag; so gewiß viel- mehr jeder, auch noch so entfernte
Versuch dieser Art ein thörichtes Vergessen der irdischen Beschränktheit zur
Schau stellt: eben so gewiß soll die Philosophie der Geschichte sich hüten, in die verschiedenen Gestalten, worin die historisch bekannten Ereignisse
und Gesellschaften sich zeigen, eine systematische Totalitat hineinzukünsteln,
als ob eine die noth- wendige Ergänzung der andern, und alle verbunden eine Gesammtdarstellung des Menschengeistes auszumachen be- stimmt wären. Alle bisherige Geschichte ist ein Anfang, dessen Fortgang
Niemand prophezeihen kann; und der heu- tige Zustand der Dinge ist eben so wenig
ein Stand allge- meiner Sündhaftigkeit als Vollendung.
Wie aber die Psychologie die sinkenden und schon ge- sunkenen Vorstellungen
sammt deren Verbindungen im Auge behält, um nicht über das erneuerte
Emporsteigen derselben sich wundern zu müssen: so auch soll die Philosophie der
Geschichte den herabgedrückten Kräften, und den hierin ver- borgenen Keimen
des Besseren und Schlechteren nachspü- ren; damit klar werde, unter welchen
Bedingungen das Gute emporkommen, und das Schlechte überwunden wer- den
konnte. Denn darüber verlangt jedes Zeitalter Beleh- rung, damit es wisse, was es
zu thun und zu vermeiden habe. Was der Erzieher von der Psychologie, das fodert
der Staatsmann zunächst von der Philosophie der Geschichte. Für Beyde sind
eiserne Nothwendigkeit, die nichts anneh-
der Erde unter unsern Augen geschieht, den Typus eines allgemein-nothwendigen Naturlaufs entdecken könnte.
So gewiß es ist, daß keine Geschichte der bekannten Staaten und Nationen jemals
eine Weltgeschichte im eigentlichen Sinne, oder auch nur
Etwas damit in irgend einem angeblichen Verhältnisse Stehendes liefern kann; so
gewiß ferner keinerley Theorie davon mit einigem Schein der Wahrheit einen
Begriff zu geben vermag; so gewiß viel- mehr jeder, auch noch so entfernte
Versuch dieser Art ein thörichtes Vergessen der irdischen Beschränktheit zur
Schau stellt: eben so gewiß soll die Philosophie der Geschichte sich hüten, in die verschiedenen Gestalten, worin die historisch bekannten Ereignisse
und Gesellschaften sich zeigen, eine systematische Totalitat hineinzukünsteln,
als ob eine die noth- wendige Ergänzung der andern, und alle verbunden eine Gesammtdarstellung des Menschengeistes auszumachen be- stimmt wären. Alle bisherige Geschichte ist ein Anfang, dessen Fortgang
Niemand prophezeihen kann; und der heu- tige Zustand der Dinge ist eben so wenig
ein Stand allge- meiner Sündhaftigkeit als Vollendung.
Wie aber die Psychologie die sinkenden und schon ge- sunkenen Vorstellungen
sammt deren Verbindungen im Auge behält, um nicht über das erneuerte
Emporsteigen derselben sich wundern zu müssen: so auch soll die Philosophie der
Geschichte den herabgedrückten Kräften, und den hierin ver- borgenen Keimen
des Besseren und Schlechteren nachspü- ren; damit klar werde, unter welchen
Bedingungen das Gute emporkommen, und das Schlechte überwunden wer- den
konnte. Denn darüber verlangt jedes Zeitalter Beleh- rung, damit es wisse, was es
zu thun und zu vermeiden habe. Was der Erzieher von der Psychologie, das fodert
der Staatsmann zunächst von der Philosophie der Geschichte. Für Beyde sind
eiserne Nothwendigkeit, die nichts anneh-
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[196/0204]
der Erde unter unsern Augen geschieht, den Typus eines
allgemein-nothwendigen Naturlaufs entdecken könnte.
So gewiß es ist, daß keine Geschichte der bekannten
Staaten und Nationen jemals eine Weltgeschichte im
eigentlichen Sinne, oder auch nur Etwas damit in irgend
einem angeblichen Verhältnisse Stehendes liefern kann; so
gewiß ferner keinerley Theorie davon mit einigem Schein
der Wahrheit einen Begriff zu geben vermag; so gewiß viel-
mehr jeder, auch noch so entfernte Versuch dieser Art ein
thörichtes Vergessen der irdischen Beschränktheit zur Schau
stellt: eben so gewiß soll die Philosophie der Geschichte sich
hüten, in die verschiedenen Gestalten, worin die historisch
bekannten Ereignisse und Gesellschaften sich zeigen, eine
systematische Totalitat hineinzukünsteln, als ob eine die noth-
wendige Ergänzung der andern, und alle verbunden eine
Gesammtdarstellung des Menschengeistes auszumachen be-
stimmt wären. Alle bisherige Geschichte ist ein Anfang,
dessen Fortgang Niemand prophezeihen kann; und der heu-
tige Zustand der Dinge ist eben so wenig ein Stand allge-
meiner Sündhaftigkeit als Vollendung.
Wie aber die Psychologie die sinkenden und schon ge-
sunkenen Vorstellungen sammt deren Verbindungen im Auge
behält, um nicht über das erneuerte Emporsteigen derselben
sich wundern zu müssen: so auch soll die Philosophie der
Geschichte den herabgedrückten Kräften, und den hierin ver-
borgenen Keimen des Besseren und Schlechteren nachspü-
ren; damit klar werde, unter welchen Bedingungen das
Gute emporkommen, und das Schlechte überwunden wer-
den konnte. Denn darüber verlangt jedes Zeitalter Beleh-
rung, damit es wisse, was es zu thun und zu vermeiden
habe. Was der Erzieher von der Psychologie, das fodert
der Staatsmann zunächst von der Philosophie der Geschichte.
Für Beyde sind eiserne Nothwendigkeit, die nichts anneh-
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Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup.
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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/204>, abgerufen am 16.02.2025.
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