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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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Philosophie, den specifischen Unterschied der verschiedenen
sittlichen Grund-Urtheile völlig klar zu machen. Folglich
kann das moralische Gefühl, welches diesen Unterschied nicht
angiebt, auch nicht jener Wissenschaft ihre Principien dar-
bieten.

Angenommen nun, eine Begierde entwerfe so eben ihre
Pläne (nach 236.), und indem ein Mittel zu ihrer Befrie-
digung ersonnen ist, werde die moralische Verkehrtheit die-
ses Mittels gefühlt; so wirkt das Gefühl wie ein Hinderniß,
und es stockt der Lauf der Vorstellungen gerade wie wenn
eine Handlung in der äußern Welt nicht gelingt. (219).
Während dieses Stillstandes nun geschieht zweyerley zu-
gleich. Erstlich schwellen die Vorstellungen, welche von der
Begierde ausgehn, starker an aber zweytens gewinnt auch
das sittliche Urtheil Zeit, hervorzutreten. Es fragt sich jetzt,
ob dieses Urtheil mit einer starken Gedankenmasse zusam-
menhängt, die, indem sie sich mehr und mehr im Bewußt-
seyn ausbreitet, allmählig jene anschwellende Begierde nie-
derdrückt, ohne ihrerseits von dem unangenehmen Gefühl,
in das sich die gepreßte Begierde verwandelt, in ihrer Ent-
wickelung zu leiden? Kann diese Frage bejahet werden, so
ist Selbstbeherrschung vorhanden.

238. Eine durchgreifende in allem Thun und Lassen
gleichförmige für die untergeordneten Jnteressen und Wün-
sche möglichst schonend, ächt-sittliche Selbstbeherrschung ist
ein Jdeal, welches man mit dem Namen eines psychi-
schen Organismus
belegen kann. Denn es gehört dazu
eine solche Verknüpfung und Subordination der Vorstellun-
gen, welche nicht nur in den kleinsten wie in den größten
Verbindungen durchaus zweckmäßig, sondern auch fähig sey,
alle neu hinzukommenden, äußeren Eindrücke sich zweckmäßig
anzueignen. Dies ist das Ziel der Erziehung und der Selbst-
bildung. Wie nahe der Mensch diesem Ziele kommen könne,

Philosophie, den specifischen Unterschied der verschiedenen
sittlichen Grund-Urtheile völlig klar zu machen. Folglich
kann das moralische Gefühl, welches diesen Unterschied nicht
angiebt, auch nicht jener Wissenschaft ihre Principien dar-
bieten.

Angenommen nun, eine Begierde entwerfe so eben ihre
Pläne (nach 236.), und indem ein Mittel zu ihrer Befrie-
digung ersonnen ist, werde die moralische Verkehrtheit die-
ses Mittels gefühlt; so wirkt das Gefühl wie ein Hinderniß,
und es stockt der Lauf der Vorstellungen gerade wie wenn
eine Handlung in der äußern Welt nicht gelingt. (219).
Während dieses Stillstandes nun geschieht zweyerley zu-
gleich. Erstlich schwellen die Vorstellungen, welche von der
Begierde ausgehn, starker an aber zweytens gewinnt auch
das sittliche Urtheil Zeit, hervorzutreten. Es fragt sich jetzt,
ob dieses Urtheil mit einer starken Gedankenmasse zusam-
menhängt, die, indem sie sich mehr und mehr im Bewußt-
seyn ausbreitet, allmählig jene anschwellende Begierde nie-
derdrückt, ohne ihrerseits von dem unangenehmen Gefühl,
in das sich die gepreßte Begierde verwandelt, in ihrer Ent-
wickelung zu leiden? Kann diese Frage bejahet werden, so
ist Selbstbeherrschung vorhanden.

238. Eine durchgreifende in allem Thun und Lassen
gleichförmige für die untergeordneten Jnteressen und Wün-
sche möglichst schonend, ächt-sittliche Selbstbeherrschung ist
ein Jdeal, welches man mit dem Namen eines psychi-
schen Organismus
belegen kann. Denn es gehört dazu
eine solche Verknüpfung und Subordination der Vorstellun-
gen, welche nicht nur in den kleinsten wie in den größten
Verbindungen durchaus zweckmäßig, sondern auch fähig sey,
alle neu hinzukommenden, äußeren Eindrücke sich zweckmäßig
anzueignen. Dies ist das Ziel der Erziehung und der Selbst-
bildung. Wie nahe der Mensch diesem Ziele kommen könne,

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[192/0200] Philosophie, den specifischen Unterschied der verschiedenen sittlichen Grund-Urtheile völlig klar zu machen. Folglich kann das moralische Gefühl, welches diesen Unterschied nicht angiebt, auch nicht jener Wissenschaft ihre Principien dar- bieten. Angenommen nun, eine Begierde entwerfe so eben ihre Pläne (nach 236.), und indem ein Mittel zu ihrer Befrie- digung ersonnen ist, werde die moralische Verkehrtheit die- ses Mittels gefühlt; so wirkt das Gefühl wie ein Hinderniß, und es stockt der Lauf der Vorstellungen gerade wie wenn eine Handlung in der äußern Welt nicht gelingt. (219). Während dieses Stillstandes nun geschieht zweyerley zu- gleich. Erstlich schwellen die Vorstellungen, welche von der Begierde ausgehn, starker an aber zweytens gewinnt auch das sittliche Urtheil Zeit, hervorzutreten. Es fragt sich jetzt, ob dieses Urtheil mit einer starken Gedankenmasse zusam- menhängt, die, indem sie sich mehr und mehr im Bewußt- seyn ausbreitet, allmählig jene anschwellende Begierde nie- derdrückt, ohne ihrerseits von dem unangenehmen Gefühl, in das sich die gepreßte Begierde verwandelt, in ihrer Ent- wickelung zu leiden? Kann diese Frage bejahet werden, so ist Selbstbeherrschung vorhanden. 238. Eine durchgreifende in allem Thun und Lassen gleichförmige für die untergeordneten Jnteressen und Wün- sche möglichst schonend, ächt-sittliche Selbstbeherrschung ist ein Jdeal, welches man mit dem Namen eines psychi- schen Organismus belegen kann. Denn es gehört dazu eine solche Verknüpfung und Subordination der Vorstellun- gen, welche nicht nur in den kleinsten wie in den größten Verbindungen durchaus zweckmäßig, sondern auch fähig sey, alle neu hinzukommenden, äußeren Eindrücke sich zweckmäßig anzueignen. Dies ist das Ziel der Erziehung und der Selbst- bildung. Wie nahe der Mensch diesem Ziele kommen könne,

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/200>, abgerufen am 24.11.2024.