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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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Fünftes Capitel.
Von der Selbstbeherrschung, insbesondere von
der Pflicht, als einem psychischen Phänomene.

228. Man unterscheide die wirkliche Selbstbeherr-
schung von derjenigen, welche der Mensch sich selbst
anmuthet
, und diese wiederum von der, welche er sich
anmuthen soll
.

229. Fast unbemerkt, und ohne noch mit den Schwie-
rigkeiten der Sache bekannt zu seyn, beschließt über sich
selbst das Kind, indem es eine Handlung, die für ein Mit-
tel zum Zwecke gilt, sich vorbehält und vorsetzt auf eine
künftige Zeit. Hintennach, wann die Zukunft zur Gegen-
wart geworden ist, findet sich, daß auch jetzt noch gewollt
wird, daß der frühere Augenblick nicht über den jetzigen
entscheiden konnte, und daß es sich fragt, ob denn auch
der jetzige Wille einerley sey mit dem vorigen, -- an wel-
chen vielleicht kaum noch gedacht wird. Erst allmählig er-
fährt der Mensch, wie leicht er sich selbst ungetreu seyn
könne.

230. Erfahrungen dieser Art sind im Großen auf-
fallender und schädlicher als im Kleinen. Lange bevor der
Mensch das psychologische Bedürfniß anerkennt, sich selbst
eine Regel zu setzen und sich daran zu binden, giebt es
Gesetze in der bürgerlichen Gesellschaft; und diese sind das
Vorbild alles dessen, was weiterhin die Moral von Sitten-
gesetzen zu sagen pflegt*)
.


*) Das bürgerliche Gesetz bestimmt nicht nur Pflichten, sondern
auch Rechte. Dem zufolge hat man auch gewisse natürliche, an-
geborne Rechte ersonnen. Diese, in wiefern sie eine Anlage in
der menschlichen Seele bezeichnen sollen, gehören zu den psycho-
logischen Erschleichungen. Vergl. Allg. prakt. Philos. S. 174.
Fünftes Capitel.
Von der Selbstbeherrschung, insbesondere von
der Pflicht, als einem psychischen Phänomene.

228. Man unterscheide die wirkliche Selbstbeherr-
schung von derjenigen, welche der Mensch sich selbst
anmuthet
, und diese wiederum von der, welche er sich
anmuthen soll
.

229. Fast unbemerkt, und ohne noch mit den Schwie-
rigkeiten der Sache bekannt zu seyn, beschließt über sich
selbst das Kind, indem es eine Handlung, die für ein Mit-
tel zum Zwecke gilt, sich vorbehält und vorsetzt auf eine
künftige Zeit. Hintennach, wann die Zukunft zur Gegen-
wart geworden ist, findet sich, daß auch jetzt noch gewollt
wird, daß der frühere Augenblick nicht über den jetzigen
entscheiden konnte, und daß es sich fragt, ob denn auch
der jetzige Wille einerley sey mit dem vorigen, — an wel-
chen vielleicht kaum noch gedacht wird. Erst allmählig er-
fährt der Mensch, wie leicht er sich selbst ungetreu seyn
könne.

230. Erfahrungen dieser Art sind im Großen auf-
fallender und schädlicher als im Kleinen. Lange bevor der
Mensch das psychologische Bedürfniß anerkennt, sich selbst
eine Regel zu setzen und sich daran zu binden, giebt es
Gesetze in der bürgerlichen Gesellschaft; und diese sind das
Vorbild alles dessen, was weiterhin die Moral von Sitten-
gesetzen zu sagen pflegt*)
.


*) Das bürgerliche Gesetz bestimmt nicht nur Pflichten, sondern
auch Rechte. Dem zufolge hat man auch gewisse natürliche, an-
geborne Rechte ersonnen. Diese, in wiefern sie eine Anlage in
der menschlichen Seele bezeichnen sollen, gehören zu den psycho-
logischen Erschleichungen. Vergl. Allg. prakt. Philos. S. 174.
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[181/0189] Fünftes Capitel. Von der Selbstbeherrschung, insbesondere von der Pflicht, als einem psychischen Phänomene. 228. Man unterscheide die wirkliche Selbstbeherr- schung von derjenigen, welche der Mensch sich selbst anmuthet, und diese wiederum von der, welche er sich anmuthen soll. 229. Fast unbemerkt, und ohne noch mit den Schwie- rigkeiten der Sache bekannt zu seyn, beschließt über sich selbst das Kind, indem es eine Handlung, die für ein Mit- tel zum Zwecke gilt, sich vorbehält und vorsetzt auf eine künftige Zeit. Hintennach, wann die Zukunft zur Gegen- wart geworden ist, findet sich, daß auch jetzt noch gewollt wird, daß der frühere Augenblick nicht über den jetzigen entscheiden konnte, und daß es sich fragt, ob denn auch der jetzige Wille einerley sey mit dem vorigen, — an wel- chen vielleicht kaum noch gedacht wird. Erst allmählig er- fährt der Mensch, wie leicht er sich selbst ungetreu seyn könne. 230. Erfahrungen dieser Art sind im Großen auf- fallender und schädlicher als im Kleinen. Lange bevor der Mensch das psychologische Bedürfniß anerkennt, sich selbst eine Regel zu setzen und sich daran zu binden, giebt es Gesetze in der bürgerlichen Gesellschaft; und diese sind das Vorbild alles dessen, was weiterhin die Moral von Sitten- gesetzen zu sagen pflegt *) . *) Das bürgerliche Gesetz bestimmt nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte. Dem zufolge hat man auch gewisse natürliche, an- geborne Rechte ersonnen. Diese, in wiefern sie eine Anlage in der menschlichen Seele bezeichnen sollen, gehören zu den psycho- logischen Erschleichungen. Vergl. Allg. prakt. Philos. S. 174.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/189>, abgerufen am 22.11.2024.