zersetzt haben. So betrügt der psychische Mechanismus
fort- dauernd selbst manche Philosophen.
Anmerkung. Es würde eine ganz leere Hoffnung seyn, daß
die Metaphysik etwa im Fortgange der Wissen- schaften einen bequemern Zugang
bekommen möchte, als den durch die Widersprüche in der Form der Erfahrung. Die
Einheit der Seele selbst ist der tiefe Grund, aus welchem in unser
Vorstellen diejenige Einheit kommt, die wir hinten- nach im Vorgestellten
vermissen. Hierin, und in der ge- nauen Bestimmtheit derjenigen
Reproductionsgesetze, die sich nach 168 bilden, liegt nun auch die Antwort auf
die Fra- ge: wie die Formen der Erfahrung können gege- ben seyn? (Lehrbuch zur Einleitung in d. Philos. §. 22 -- 29, und §. 98 --
102.)
197. Um uns der schwierigen Lehre vom Selbstbe- wußtseyn nähern zu können,
müssen wir zuvor einiger der wichtigsten Verschiedenheiten in der menschlichen
Auffassung der Dinge erwähnen.
Bewegte Gegenstände beschäfftigen den Zuschauer un- gleich mehr als ruhende. Denn die Beobachtung ei- nes Bewegten
ist ein unaufhörlicher Wechsel aufgeregter und befriedigter Begierde. Das
Be- wegte sey an irgend einer Stelle: die Vorstellung desselben verschmilzt
mit denen der Umgebung. Es verlasse jetzt diese Stelle, so wird anstatt seiner
etwas von dem Hintergrunde wahrgenommen, vor welchem es verübergeht. Diese
Wahr- nehmung hemmt jene Vorstellung des Bewegten; zu glei- cher Zeit aber
wird die letztere hervorgetrieben durch die Vorstellungen der Umgebung, welche
noch eben so erscheint wie Anfangs. Auch ist das Hervortreiben meistens viel
stär- ker wie die Hemmung, denn es rührt her von einer weit größern Summe
von Vorstellungen, als die Hemmung, die nur von dem Anblick eines kleinen Theils
des Hintergrun-
zersetzt haben. So betrügt der psychische Mechanismus
fort- dauernd selbst manche Philosophen.
Anmerkung. Es würde eine ganz leere Hoffnung seyn, daß
die Metaphysik etwa im Fortgange der Wissen- schaften einen bequemern Zugang
bekommen möchte, als den durch die Widersprüche in der Form der Erfahrung. Die
Einheit der Seele selbst ist der tiefe Grund, aus welchem in unser
Vorstellen diejenige Einheit kommt, die wir hinten- nach im Vorgestellten
vermissen. Hierin, und in der ge- nauen Bestimmtheit derjenigen
Reproductionsgesetze, die sich nach 168 bilden, liegt nun auch die Antwort auf
die Fra- ge: wie die Formen der Erfahrung können gege- ben seyn? (Lehrbuch zur Einleitung in d. Philos. §. 22 — 29, und §. 98 —
102.)
197. Um uns der schwierigen Lehre vom Selbstbe- wußtseyn nähern zu können,
müssen wir zuvor einiger der wichtigsten Verschiedenheiten in der menschlichen
Auffassung der Dinge erwähnen.
Bewegte Gegenstände beschäfftigen den Zuschauer un- gleich mehr als ruhende. Denn die Beobachtung ei- nes Bewegten
ist ein unaufhörlicher Wechsel aufgeregter und befriedigter Begierde. Das
Be- wegte sey an irgend einer Stelle: die Vorstellung desselben verschmilzt
mit denen der Umgebung. Es verlasse jetzt diese Stelle, so wird anstatt seiner
etwas von dem Hintergrunde wahrgenommen, vor welchem es verübergeht. Diese
Wahr- nehmung hemmt jene Vorstellung des Bewegten; zu glei- cher Zeit aber
wird die letztere hervorgetrieben durch die Vorstellungen der Umgebung, welche
noch eben so erscheint wie Anfangs. Auch ist das Hervortreiben meistens viel
stär- ker wie die Hemmung, denn es rührt her von einer weit größern Summe
von Vorstellungen, als die Hemmung, die nur von dem Anblick eines kleinen Theils
des Hintergrun-
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zersetzt haben. So betrügt der psychische Mechanismus fort-
dauernd selbst manche Philosophen.
Anmerkung. Es würde eine ganz leere Hoffnung
seyn, daß die Metaphysik etwa im Fortgange der Wissen-
schaften einen bequemern Zugang bekommen möchte, als den
durch die Widersprüche in der Form der Erfahrung. Die
Einheit der Seele selbst ist der tiefe Grund, aus welchem
in unser Vorstellen diejenige Einheit kommt, die wir hinten-
nach im Vorgestellten vermissen. Hierin, und in der ge-
nauen Bestimmtheit derjenigen Reproductionsgesetze, die sich
nach 168 bilden, liegt nun auch die Antwort auf die Fra-
ge: wie die Formen der Erfahrung können gege-
ben seyn? (Lehrbuch zur Einleitung in d. Philos. §. 22 —
29, und §. 98 — 102.)
197. Um uns der schwierigen Lehre vom Selbstbe-
wußtseyn nähern zu können, müssen wir zuvor einiger der
wichtigsten Verschiedenheiten in der menschlichen Auffassung
der Dinge erwähnen.
Bewegte Gegenstände beschäfftigen den Zuschauer un-
gleich mehr als ruhende. Denn die Beobachtung ei-
nes Bewegten ist ein unaufhörlicher Wechsel
aufgeregter und befriedigter Begierde. Das Be-
wegte sey an irgend einer Stelle: die Vorstellung desselben
verschmilzt mit denen der Umgebung. Es verlasse jetzt diese
Stelle, so wird anstatt seiner etwas von dem Hintergrunde
wahrgenommen, vor welchem es verübergeht. Diese Wahr-
nehmung hemmt jene Vorstellung des Bewegten; zu glei-
cher Zeit aber wird die letztere hervorgetrieben durch die
Vorstellungen der Umgebung, welche noch eben so erscheint
wie Anfangs. Auch ist das Hervortreiben meistens viel stär-
ker wie die Hemmung, denn es rührt her von einer weit
größern Summe von Vorstellungen, als die Hemmung, die
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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/164>, abgerufen am 02.08.2024.
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