Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

vielmehr nimmt die Menge derselben und ihre Jnnigkeit
immer zu. Aber eines Theils wächst mit ihnen auch die
Menge der Unterscheidungen (nach 189): andern Theils
giebt es mehr häufige räumliche Trennungen dessen,
was Anfangs beysammen gesehen (oder überhaupt wahrge-
nommen) wurde. Denn die Dinge bewegen sich, und da-
durch hauptsächlich zerreißt die Umgebung; auf diese Weise
erst entsteht für das menschliche Vorstellen eine Mehrheit
von Dingen. -- Anfangs scheint der Tisch mit dem Fuß-
boten Eins, sowohl wie die Tischplatte mit den Tischfüßen;
der Tisch aber wird von der Stelle gerückt, während die
Platte sich von den Füßen nicht trennt. Was sich nicht
von einander entfernt, das behält im Vorstellen seine ur-
sprüngliche Einheit.

195. Wie nun die Umgebungen allmählig in einzelne
Dinge zerlegt werden, so die Dinge wiederum in ihre Merk-
male (191). Fragt man hier: welchem Subjecte denn
eigentlich die Merkmale beygelegt werden?
so ist
die Antwort: das Subject ist immer die ganze Comple-
xion eben dieser Merkmale, in wiefern der psy-
chische Mechanismus dieselben in einem einzi-
gen, ungetheilten Actus vorstellt
. Dabey ist gar
keine Schwierigkeit, so lange nicht alle die Urtheile
beysammen sind, durch welche einem und dem-
selben Dinge alle seine Merkmale zugeschrieben
werden
.

Allein wenn einmal (was bey den meisten Menschen
niemals geschieht) das Denken diesen Grad der Reihe er-
langt, alsdann ändert sich die Sache. Die Urtheile haben
nun die Complexion ganz aufgelöst, und die Merkmale der-
selben als ein Vieles auseinandergebreitet; dabey
wird nun noch immer Eins vorausgesetzt, als das Sub-
ject für die vielen Prädicate. Aber dieser Begriff hat sei-

vielmehr nimmt die Menge derselben und ihre Jnnigkeit
immer zu. Aber eines Theils wächst mit ihnen auch die
Menge der Unterscheidungen (nach 189): andern Theils
giebt es mehr häufige räumliche Trennungen dessen,
was Anfangs beysammen gesehen (oder überhaupt wahrge-
nommen) wurde. Denn die Dinge bewegen sich, und da-
durch hauptsächlich zerreißt die Umgebung; auf diese Weise
erst entsteht für das menschliche Vorstellen eine Mehrheit
von Dingen. — Anfangs scheint der Tisch mit dem Fuß-
boten Eins, sowohl wie die Tischplatte mit den Tischfüßen;
der Tisch aber wird von der Stelle gerückt, während die
Platte sich von den Füßen nicht trennt. Was sich nicht
von einander entfernt, das behält im Vorstellen seine ur-
sprüngliche Einheit.

195. Wie nun die Umgebungen allmählig in einzelne
Dinge zerlegt werden, so die Dinge wiederum in ihre Merk-
male (191). Fragt man hier: welchem Subjecte denn
eigentlich die Merkmale beygelegt werden?
so ist
die Antwort: das Subject ist immer die ganze Comple-
xion eben dieser Merkmale, in wiefern der psy-
chische Mechanismus dieselben in einem einzi-
gen, ungetheilten Actus vorstellt
. Dabey ist gar
keine Schwierigkeit, so lange nicht alle die Urtheile
beysammen sind, durch welche einem und dem-
selben Dinge alle seine Merkmale zugeschrieben
werden
.

Allein wenn einmal (was bey den meisten Menschen
niemals geschieht) das Denken diesen Grad der Reihe er-
langt, alsdann ändert sich die Sache. Die Urtheile haben
nun die Complexion ganz aufgelöst, und die Merkmale der-
selben als ein Vieles auseinandergebreitet; dabey
wird nun noch immer Eins vorausgesetzt, als das Sub-
ject für die vielen Prädicate. Aber dieser Begriff hat sei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0162" n="154"/>
vielmehr nimmt die Menge derselben und ihre Jnnigkeit<lb/>
immer zu. Aber eines Theils wächst mit ihnen auch die<lb/>
Menge der
               Unterscheidungen (nach 189): andern Theils<lb/>
giebt es mehr häufige <hi rendition="#g">räumliche Trennungen</hi> dessen,<lb/>
was Anfangs beysammen gesehen
               (oder überhaupt wahrge-<lb/>
nommen) wurde. Denn die Dinge bewegen sich, und da-<lb/>
durch hauptsächlich zerreißt die Umgebung; auf diese Weise<lb/>
erst entsteht für das
               menschliche Vorstellen eine <hi rendition="#g">Mehrheit</hi><lb/>
von Dingen. &#x2014; Anfangs scheint der Tisch mit dem Fuß-<lb/>
boten Eins, sowohl wie
               die Tischplatte mit den Tischfüßen;<lb/>
der Tisch aber wird von der Stelle gerückt,
               während die<lb/>
Platte sich von den Füßen nicht trennt. Was sich nicht<lb/>
von
               einander entfernt, das behält im Vorstellen seine ur-<lb/>
sprüngliche Einheit.</p><lb/>
            <p>195. Wie nun die Umgebungen allmählig in einzelne<lb/>
Dinge zerlegt werden, so die
               Dinge wiederum in ihre Merk-<lb/>
male (191). Fragt man hier: <hi rendition="#g">welchem Subjecte denn<lb/>
eigentlich die Merkmale beygelegt werden?</hi> so ist<lb/>
die Antwort: das Subject ist immer <hi rendition="#g">die ganze Comple-<lb/>
xion eben dieser Merkmale, in wiefern der psy-<lb/>
chische Mechanismus dieselben in
                 einem einzi-<lb/>
gen, ungetheilten Actus vorstellt</hi>. Dabey ist gar<lb/>
keine
               Schwierigkeit, <hi rendition="#g">so lange nicht alle die Urtheile<lb/>
beysammen
                 sind, durch welche einem und dem-<lb/>
selben Dinge alle seine Merkmale
                 zugeschrieben<lb/>
werden</hi>.</p><lb/>
            <p>Allein wenn einmal (was bey den meisten Menschen<lb/>
niemals geschieht) das Denken
               diesen Grad der Reihe er-<lb/>
langt, alsdann ändert sich die Sache. Die Urtheile
               haben<lb/>
nun die Complexion ganz aufgelöst, und die Merkmale der-<lb/>
selben <hi rendition="#g">als ein Vieles auseinandergebreitet</hi>; dabey<lb/>
wird nun noch
               immer Eins vorausgesetzt, als das Sub-<lb/>
ject für die vielen Prädicate. Aber dieser
               Begriff hat sei-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0162] vielmehr nimmt die Menge derselben und ihre Jnnigkeit immer zu. Aber eines Theils wächst mit ihnen auch die Menge der Unterscheidungen (nach 189): andern Theils giebt es mehr häufige räumliche Trennungen dessen, was Anfangs beysammen gesehen (oder überhaupt wahrge- nommen) wurde. Denn die Dinge bewegen sich, und da- durch hauptsächlich zerreißt die Umgebung; auf diese Weise erst entsteht für das menschliche Vorstellen eine Mehrheit von Dingen. — Anfangs scheint der Tisch mit dem Fuß- boten Eins, sowohl wie die Tischplatte mit den Tischfüßen; der Tisch aber wird von der Stelle gerückt, während die Platte sich von den Füßen nicht trennt. Was sich nicht von einander entfernt, das behält im Vorstellen seine ur- sprüngliche Einheit. 195. Wie nun die Umgebungen allmählig in einzelne Dinge zerlegt werden, so die Dinge wiederum in ihre Merk- male (191). Fragt man hier: welchem Subjecte denn eigentlich die Merkmale beygelegt werden? so ist die Antwort: das Subject ist immer die ganze Comple- xion eben dieser Merkmale, in wiefern der psy- chische Mechanismus dieselben in einem einzi- gen, ungetheilten Actus vorstellt. Dabey ist gar keine Schwierigkeit, so lange nicht alle die Urtheile beysammen sind, durch welche einem und dem- selben Dinge alle seine Merkmale zugeschrieben werden. Allein wenn einmal (was bey den meisten Menschen niemals geschieht) das Denken diesen Grad der Reihe er- langt, alsdann ändert sich die Sache. Die Urtheile haben nun die Complexion ganz aufgelöst, und die Merkmale der- selben als ein Vieles auseinandergebreitet; dabey wird nun noch immer Eins vorausgesetzt, als das Sub- ject für die vielen Prädicate. Aber dieser Begriff hat sei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/162
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/162>, abgerufen am 24.11.2024.